Page - 251 - in Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Image of the Page - 251 -
Text of the Page - 251 -
DIE PLENARDEBATTEN UM DAS KOPFTUCH IN DEN DEUTSCHEN LANDESPARLAMENTEN
251
tigen Debatten und die Positionen der Parteien sind Gegenstand des vorlie-
genden Beitrags. Konkret wird erstens untersucht, ob und inwieweit die je-
weiligen landespolitischen Debatten von bestimmten integrationspolitischen
Vorstellungen und Leitbildern der Parteien dominiert waren. Zweitens soll –
damit eng verknüpft – danach gefragt werden, ob sich im Sinne der ›Parteien-
differenzhypothese‹ (Hibbs 1977; Beyme 1981; Schmidt 1982) Unterschiede
in den parteipolitischen und/oder länderspezifischen Argumentationslinien
feststellen lassen. Und drittens schließlich soll implizit auch die Frage beant-
wortet werden, ob sich die Hoffnung des BVerfG auf eine der Schwierigkeit
der zu behandelnden Frage angemessene parlamentarische Debatte erfüllt hat
oder nicht. Um dies tun zu können, sollen zunächst kurz unterschiedliche
religionspolitische Leitbilder diskutiert werden, bevor dann die Gesetzge-
bungsverfahren in den unterschiedlichen Bundesländern einer eingehenden
Analyse unterzogen werden.6 Ein kurzes Fazit rundet den Beitrag ab.
Religionspolitische Leitbilder
Eine der großen Sorgen der Kritiker des Urteils des BVerfG bestand in der
Befürchtung, dass die Regelungskompetenzzuweisung der ›Kopftuchfrage‹ an
die Bundesländer zu einem Flickenteppich unterschiedlichster gesetzlicher
Regelungen führen würde. Hinter dieser Sorge steht die Annahme, dass
Parteien unterschiedlichen religionspolitischen Leitbildern und Strategien fol-
gen, die sich über die jeweiligen parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse in
den Bundesländern in unterschiedlichen Gesetzen niederschlagen. Bevor die
Debatten in den deutschen Landtagen genauer analysiert werden, erscheint es
daher sinnvoll, sich zunächst unterschiedliche religionspolitische Strategien
vor Augen zu führen, die prinzipiell von Parteien verfolgt werden können.
Politische Gemeinschaften unterscheiden sich zum Teil erheblich in ihren
Vorstellungen über ›Bürgerschaft‹, ›Zugehörigkeit‹ und ›Anerkennung kultu-
reller Heterogenität in der öffentlichen Sphäre‹. Innerhalb der Migrationsfor-
schung werden im Allgemeinen drei Modelle identifiziert (siehe bspw. Bruba-
ker 1992; Castles/Miller 1993; Castles 1995; Freeman 1995), die noch immer
heuristischen Gewinn versprechen (kritisch dazu Sackmann 2004: 173 ff;
Koopmans et al. 2005: 31 ff): Erstens ein ›exklusives‹ Modell, das Nation und
Bürgerschaft auf ethnischer und kultureller Grundlage definiert und das einen
Beitritt zur Nation extrem erschwert. Zweitens ein ›universalistisches‹ Mo-
dell, das die Nation politisch begreift (und das grundsätzlich – bei bezeugtem
6 Unserer Untersuchung liegt eine qualitative Inhaltsanalyse von 27 Plenardebat-
ten (Antragsdebatten und aktuelle Stunden) zu Grunde. Nicht einbezogen wur-
den die beiden Debatten zum Kopftuchverbot in Kindertagesstätten in Baden-
Württemberg sowie die kaum aussagekräftige 1. Lesung eines DVU-Antrags im
brandenburgischen Landtag am 02.03.2005.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik