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MUSLIMISCHE FRAUEN UND DAS ›KOPFTUCH‹
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ein häufiges Phänomen. Das Argument der Betroffenen, sie möchten ihre
Konversions-/Lebensgeschichten nicht in der Zeitung oder wissenschaftlichen
Aufsätzen lesen, findet oft wenig Verständnis.43
Konvertitinnen sind diejenigen Musliminnen, welche in erster Linie die
veränderte Assoziationskette in Bezug auf die Bedeckung trifft:
»Mit dem Kopftuch wird aktuell all das verbunden, was in Anbetracht der Sicher-
heitsbedrohung durch global agierende Terroristen oder durch negative Entwicklun-
gen in der islamischen Welt bzw. das allgemein negative Stimmungsbild über Mus-
lime in den Islam hineinprojiziert wird. Wenn früher mit dem Kopftuch die Unter-
drückung der Frau, ihre Unmündigkeit, Rückständigkeit und Schwäche assoziiert wur-
den, so sind heute Terrorismus, Extremismus, Anti-Moderne und Ablehnung demo-
kratischer Werte hinzugekommen« (Chbib 2004).
Während allochthone Musliminnen ihre angebliche Unselbständigkeit vorge-
halten wird, werden Konvertitinnen als Bedrohung empfunden:
»Auch hat die wachsende Zahl von Menschen, die bei uns – oder in Belgien und
anderen europäischen Ländern – zum Islam konvertieren, durchaus etwas Bedroh-
liches« (Schäuble 2007).
Dieses Negativimage erschwert das Leben ›bedeckter‹ Konvertitinnen, sobald
sie im öffentlichen Raum auftreten, enorm und erhöht die Hürden des Alltags,
z. B. bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz, weiter.
Musliminnen, die keinen Hijab tragen
In der bundesdeutschen ›Kopftuchdebatte‹ wird sehr oft die Gleichung kein
Kopftuch = modern aufgemacht und es entsteht der Eindruck, dass mit der
Erfüllung der Forderung, das Tuch abzulegen, die mehrheitsdeutsche Vorstel-
lung von Integration erfüllt sei.
Die Mehrheit aller sich in Deutschland zum Islam bekennenden Frauen
trägt im Gegensatz zu dem in der Presse aufgebauten Bild – aus verschie-
denen Motiven – kein Kopftuch. Hierzu zählt neben der Ansicht, Bedeckung
sei keine koranische Pflicht für alle Musliminnen oder der Zugehörigkeit zu
43 So versuchte z. B. 2005 eine Journalistin der Zeitung ›Die Welt‹ auf dem von
der SPD ausgerichteten Ramadan-Empfang im Hamburger Rathaus durch ge-
zieltes Ansprechen Konvertitinnen mit Hijab zu einem Interview zum Thema
Konversion zu bewegen und ließ sich auch durch Argumente, dass dies die Pri-
vatsphäre der Betroffenen verletzten würde, nicht von ihrem Vorhaben abbrin-
gen; Teilnehmende Beobachtung beim Ramadan-Empfang der SPD 2005 im
Hamburger Rathaus.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik