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Einleitung
36 Denkmal der slowenischen
Deportierten 1942, Ebenthal/
Žrelec (2012)
In einer vermeintlichen regionalhistorischen Pers-
pektive negierten die Vertreter der deutschnationalen
Ideologie in Kärnten/Koroška weitgehend bzw. im
größten möglichen Ausmaß alles Slowenische im Land
und billigten diesem höchstens die Stellung einer in-
kohärenten Zufallserscheinung der Geschichte zu.
Diese ideologisierte Geschichtsschreibung wird bei der
Frage der historischen → Kontinuität offensichtlich.
Während im Zusammenhang mit der Kontinuität zwi-
schen dem spätantiken römischen Reich und den sla-
wisch-awarischen »Alpenslawen« (→
Alpenslawisch)
Letztere sehr rasch unter fränkischer Herrschaft vermu-
tet werden, war das karantanisch-slowenische Rechts-,
Sprach-, Dialekt- und Siedlungskontinuum lange Zeit
nicht Forschungsobjekt und somit nicht oder kaum
existent. Das so vermittelte Geschichtsbild reduzierte
sich auf : Antike (Römer/Kelten) – Völkerwanderung
(amorphe Alpenslawen) – fränkisch-bairische Oberho-
heit (als deutsch interpretiert) – politische Forderungen
der Slowenen im 19. Jh. (wenn überhaupt) – Abwehr-
kampf (→ Grenzfrage 1918/20, → Volksabstimmung)
– Erste/Zweite Republik (Kärntner Slowenen als
→ Minderheit, die »überzogene«, weil nicht begrün-
dete Forderungen stellt). Damit wird auch eine sugges-
tive und deutsch-ideologisch motivierte Ethnisierung
der Geschichtsschreibung (→
»Entethnisierung«, vgl.
die Beispiele im Lemma) beschrieben. Diese »wis-
senschaftliche Gehirnwäsche« hatte auch tragische
Auswirkungen in der jüngeren politischen Geschichte
abseits des demokratischen und verfassungsrechtli-
chen Rahmens (Ortstafelsturm, Dreiparteienpakt) bzw.
hatte Auswirkungen auch auf das Image des Landes
außerhalb seiner Grenzen. Das wiederum begründet
die Notwendigkeit einer spezifischen, integrativen slo-
wenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška.
Die politisch intendierte → Germanisierung und
systematische Assimilationspolitik der autoritären
Regimes (→ Assimilation, dort PTBS), die aber auch
von den demokratisch legitimierten Einrichtungen
nicht verhindert wurden (oder werden konnten), führ-
ten zudem zu einer teilweise systematischen obrigkeit-
lichen Zerstörung des materiellen sowie immate-
riellen slowenischen kulturellen Erbes im Land.
Auch das untermauert die Bedeutung von weiteren
Forschungen zur spezifischen slowenischen Kulturge-
schichte im Zusammenhang mit politischer Verfol-
gung, ebenso wie die systematische → Vertreibung der
slowenischen Intelligenzija 1920, die von langer Hand
geplanten ethnozidären → Deportationen 1942 (Ver- trauliches Rundschreiben von Maier-Kaibitsch für
den Kärntner Heimatbund vom 7. Oktober 1938, mit
dem die Bekanntgabe von 3–6 führenden Slowenen
pro Gemeinde gefordert wurde ; Hitler-Mussolini-
Abkommen vom 21. Oktober 1939, betreffend u. a. die
Umsiedlung der Kanaltaler nach Kärnten/Koroška, und
Anordnung von Heinrich Himmler vom 25. August
1941, Nr. 46/I). Gleiches gilt für die Diskriminierun-
gen bis hin zum Verbot der slowenischen Sprache und
der slowenischen Kulturvereine sowie der Zerstörung
der Vereinsbibliotheken (nach Janez Stergar wurden
über 80.000 slowenische Bücher und Druckwerke al-
ler Art der slowenischen Kulturvereine verbrannt oder
vernichtet, so jene des Katoliško slovensko izobraževalno
društvo za → Šmihel in okolico [Katholischer sloweni-
scher Bildungsverein für St. Michael ob Bleiburg und
Umgebung]). Hinzu kommt auch die systematische
Zerstörung von Denkmälern, die von besonderer Be-
deutung für die slowenische Kulturgeschichte sind
bzw. waren (wie etwa die Malereien und slowenischen
→ Inschriften eines Jacobo → Brollo oder → Grab-
inschriften).
Jedenfalls sollte es noch lange nach Ende des Holo-
causts und des Krieges dauern, um diese Ideologie voll-
ends zu überwinden. Die angeführten positiven jünge-
ren Beispiele mögen jedenfalls zukunftsweisend sein.
Im Hinblick auf die Ethnogenese und somit die slo-
wenische Kulturgeschichte waren die gemeinsame
slowenische Sprache, die gemeinsame → Liturgiespra-
che sowie die mythologische Bedeutung der frühen
Staatsgeschichte immer verbindende Elemente, die die
Brüche im ethnogenetischen Prozess überwanden und
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55