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Agoritschach/Zagoriče
nats und am zweiten Tage der drei Hauptfeste (Weih-
nachten, Ostern, Pfingsten) Gottesdienst gehalten wer-
den, während sich an den übrigen Sonn- und Festtagen
die Gemeindemitglieder von A./Z. zu »religiösen Ver-
sammlungen« ohne Pastor trafen : In ihnen wurde nach
Vätersitte aus einem in »wendischer Sprache« geschrie-
benen Predigtbuch (Laibach 1578) vorgelesen und ge-
betet. Ein Gemeindemitglied leitete diese Versamm-
lungen und nahm diesen Lektorendienst wahr, ein
Gemeindeältester, der in beiden Sprachen versiert war
und auch eine deutsche Predigt des Bleiberger Pastors
in einer Stegreifübersetzung vorzutragen vermochte.
Ein Gebetbüchlein war ursprünglich der besondere
Stolz der Gemeinde, eine Übersetzung von Jurij Dal-
matin (1584) ins Slowenische, die ein Bauer auf eigene
Kosten 1784 in der Druckerei Kleinmayr in Klagenfurt/
Celovec drucken ließ. Allerdings wurde diese sloweni-
sche Gottesdienstpraxis sukzessive aufgegeben, weil die
sprachliche → Assimilation dermaßen fortgeschritten
war. Beschleunigt wurde dies durch ein 1856 in Nürn-
berg herausgegebenes Gesangbuch, das der Gemeinde
geschenkt und am Kirchtag des Jahres 1856, dem 5.
Sonntag der Trinitatis-Zeit (22. Juni 1856), zur Feier
der Orgelweihe eingeführt wurde. Mochten sich auch
alle Pastoren bemüht haben, das in A./Z. gebräuchli-
che Slowenisch zu lernen, so spürt man dennoch die
Unaufhaltbarkeit des Assimilierungsprozesses (→ As-
similation). Von einem Pastor wird berichtet, dass er die
Kinder aus A./Z. und Seltschach/Sovče in die deutsche
Schule nach Arnoldstein/Podklošter mitnahm. Wollte
er damit die überlieferte konservative Frömmigkeit der
Gemeinde überwinden und seiner zeitgenössischen
rationalistischen Theologie anpassen, so tat er es um
einen hohen Preis, denn dadurch wurde der Assimilie-
rungsprozess erst recht beschleunigt.
So bleibt ein merkwürdig paradoxer Befund : Die slo-
wenische Identität der Evangelischen in A./Z. konnte
leichter bewahrt werden, solange sie als Kryptoprotes-
tanten im Verborgenen ihr Glaubensleben pflegten. Die
Pastorisierung durch deutsche Geistliche und der Un-
terricht in deutscher Sprache beschleunigten die Assi-
milation, 1878 wurde der slowenischsprachige Gottes-
dienst abgeschafft. Eine schwere Krise durchlebte die
Gemeinde nach dem Ersten Weltkrieg, als sie zwischen
der slowenisch-katholischen und der deutschen Be-
völkerungsgruppe aufgerieben zu werden drohte. Sie
wandte sich an den zuständigen Senior in Trebesing
und bat um die Anstellung eines »Bundesvikars«, also
eines vom Evangelischen Bund finanzierten geistlichen Amtsträgers, damit die evangelische Filialgemeinde
»vor ihrem Untergange« gerettet werde. In diesem Brief
vom August 1918 heißt es, dass die Zahl der Evange-
lischen immer mehr abnehme, weil gemischte Ehen
»meist zum Vorteile des katholischen Teiles« geschlos-
sen würden, dass die »slowenischkatholischen Gegner
mit allen erdenklichen Mitteln« arbeiten würden, um
den Untergang der Gemeinde herbeizuführen. Der Se-
nior leitete den Hilferuf aus A./Z. umgehend an das
zuständige Pfarramt Bleiberg (Plajberk) weiter und
bat dasselbe, für eine bessere Versorgung der Filiale zu
sorgen. Am besten wäre es, wenn ein Bundesvikar an-
gestellt werden könnte – wie in den sogenannten »Los-
von-Rom-Gemeinden«. Der Senior fügte dem die Be-
merkung hinzu, dass eine Los-von-Rom-Bewegung in
A./Z. kaum zu erzielen sein werde, aber dort gelte es,
ein »Hin-zu-Rom« zu verhindern.
Die Krise der Gemeinde wurde durch die Entwick-
lung nach dem Weltkrieg noch verschärft. Zahlreiche
Gemeindemitglieder wirkten im Abwehrkampf mit,
etliche wanderten nach Amerika aus. Die Abnahme
der Seelenzahl wurde auch anlässlich der Visitation
der Gemeinde durch den Superintendenten Johannes
Heinzelmann (1873–1946) am 29. März 1936 er-
örtert. Er ermahnte die Gemeinde, sich der auffallend
großen Zahl der katholischen Eheschließungen mit
katholischer Kindererziehung bewusst zu werden und
für ein Umdenken Sorge zu tragen.
Nur mehr ein nebensächliches Thema der Beratun-
gen war die Gottesdienstsprache, denn auf die Frage
des Superintendenten, »ob ein Bedürfnis nach Abhaltung
slowenischer Gottesdienste […] vorhanden sei«, wurde ge-
sagt, »dass ein solches nicht bestehe«. In diesem Zusam-
menhang brachte der Kurator sogar die Anfrage an
den Superintendenten vor, die geeignet war, das fortge-
schrittene Stadium der Assimilation zu illustrieren. Die
Gemeinde sei im Besitze eines wertvollen Gebetbuches
in slowenischer Sprache und frage sich nun, »ob dieses
Buch um seines hohen Wertes willen verkauft werden
könnte«. Der Superintendent bejahte das Anliegen,
doch blieb es beim evangelischen Pfarramt Bleiberg
(Plajberk) in Verwahrung, bis es nach der Gründung
des Diözesanmuseums nach Fresach (Breže) gelangte.
Deutlicher als durch diese Verkaufsüberlegungen
konnte die Gemeinde gar nicht auf Distanz zu ihrer
eigenen Geschichte und Tradition gehen.
»Es felen vnns Leut, so zu dem ministerio tauglich
und der windischen Sprach verständig sein«, hatte
der Klagenfurter Pfarrer Martin Khnorr 1570 nach
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55