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Archäologisches Bild von Kärnten/Koroška im Frühmittelalter.
Erstellung einiger Interpretationsmodelle (→ Topo-
nyme, alpenslawische [slowenische] in der Steiermark,
→
Toponyme slawischer bzw. slowenischer Herkunft
in Osttirol und in Salzburg).
Die mittelalterlichen Autoren schreiben von den
→
Slawen als von Leuten mit einer weitgehend glei-
chen Sprache, gleichem Recht und gleichen Bräuchen.
Als grundlegende Einheiten von Verwaltung und Po-
litik können wir bei den Slawen die einzelnen župe
(Einzahl župa [Suppanei davon župan = der Vorstand
der župa]) ansehen. Diese waren allesamt ähnlich
strukturiert, sprachen eine verwandte Sprache, hatten
ein ähnliches Recht und ähnliche Bräuche und Riten.
All dies stellt auch die Vorbedingung für den Ein-
druck einer Gesamtheit dar, den alle hatten, die die
Slawen von außen beschrieben. Wahrscheinlich kann
am ehesten der Vegleich der župe mit mathematischen
Teilmengen, Fraktalen dienen, da man auf der Ebene
der einzelnen župe auch das findet, was man auch bei
den Gruppierungen mehrerer župe in größeren terri-
torialen Einheiten, den Fürstentümern, findet. Trotz
der anscheinenden Einheitlichkeit der slawischen Welt
war das eigenständige und unabhängige Auftreten der
einzelnen Teile charakteristisch, die sich untereinan-
der immer stärker unterschieden. Einerseits wegen der
unterschiedlichen geografischen Bedingungen, ande-
rerseits wegen der unterschiedlichen Zivilisationssub-
strate und wegen der unterschiedlichen Nachbarn. Und
obwohl nur sehr langsam – und deshalb für den äuße-
ren Beobachter kaum sichtbar –, so zeigten sich diese
Unterschiede auch in der Sprache.
Die militärischen Auseinandersetzungen der Baiern
(→ Bagoaria), Slawen und → Awaren in den Ostalpen
und den angrenzenden Gebieten gegen Ende des 6. Jh.s
sind noch kein Beweis für deren dauerhafte Ansiedlung.
Im 7. Jh. kommt es jedoch zu zahlreichen strukturel-
len Veränderungen, die man nicht mit einem Wandel
der Lebensweisen der alteingesessenen Bevölkerung
zu erklären vermag. Es kommt zur Besiedlung durch
slawisch sprechende Siedler, die die ansässige Bevöl-
kerung als slow. Vlahi (→ Walchen, →
Altladinisch)
bezeichnen, sich selbst jedoch als Slovani [Slawen]
bezeichnen (→
Altslovenisch, Bogo → Grafenauer,
→
Conversio Bagoariorum et Carantanorum).
Der fremde Raum ist nach dem damaligen Ver-
ständnis chaotisch und erlaubt als solcher kein Über-
leben. Deshalb war es notwendig, ihn zu ordnen und
ihn menschenfreundlich zu gestalten. Zu diesem Zwe-
cke richteten die Slawen ein System von Kultorten mit heiligen Bäumen, Quellen und Steinen ein. Im Zuge
der →
Christianisierung wurden diese oft von Kirchen
ersetzt (→ Inkulturation). In den Kontext der rituel-
len Handlungen fiel auch die Einsetzung der neuen
karantanischen Fürsten (→ Carantani, → Fürstenein-
setzung). Mit der Fürsteneinsetzung wurde im Chaos,
das nach dem Tod des vorgehenden Fürsten herrschte,
erneut die Ordnung wiederhergestellt, symbolisch die
Welt der Menschen mit der Welt der Götter verbun-
den und so die Rückkehr des Wohlstands ermöglicht.
Für die Verhältnisse im 7. Jh. ist charakteristisch, dass
die Steine, die bei der Fürsteneinsetzung am → Zoll-
feld/Gosposvetsko polje verwendet wurden, aus älteren
Ruinen entnommen und zu etwas Neuem umgestaltet
wurden (→ Fürstenstein). Bemerkenswert ist weiters,
dass sie sich in der Nähe des antiken Verwaltungszent-
rums Virunum befanden und doch nicht ganz auf ihm.
In gleicher Weise gestalteten die Habsburger die ritu-
ellen Steine im 14. Jh. um, als sie aus alten steinernen
Teilen den neuen Herzogstuhl (slow. vojvodski prestol)
errichteten und so den Ritus feudalisierten, der bis da-
hin in vielerlei Hinsicht im europäischen Maßstab au-
ßerordentlich archaische Merkmale bewahrt hatte.
Ähnlich geschah es in der 2. Hälfte des 8. Jh.s in
→ Molzbichl, dem ersten Kloster bei den Slawen über-
haupt. Anlässlich der Errichtung der dortigen Kir-
che wurden aus dem benachbarten Teurnia die Reli-
quien und der Grabstein des hl. Nonnosus überführt
(→ Domitian). Das deutet auf eine ununterbrochene
Tradition einer christlichen Gemeinschaft hin und be-
weist die Toleranz der slawischen Religion. Weil für die
Errichtung der Kirche und in größerem Ausmaß des
Klosters das finanzielle Vermögen und die politische
Unterstützung der weltlichen Macht notwendig waren,
spiegelt die Anordnung der frühmittelalterlichen Kir-
chen beides wider. Die frühmittelalterlichen Kirchen
sind in zwei räumlichen Gruppen angeordnet. Die eine
befindet sich im zentralen Bereich des Klagenfurter Be-
ckens/Celovška kotlina und die zweite in Oberkärnten/
Zgornja Koroška in der Umgebung von Spittal an der
Drau (Špital ob Dravi). In diesen zwei geografischen
Räumen sind gegen Ende des 8. und zu Beginn des 9.
Jh.s steinerne Kircheneinrichtungen nachgewiesen, die
mit Flechtwerken verziert wurden (→ frühmittelal-
terliche Kirchen). Dabei handelt es sich um außeror-
dentlich repräsentativ angelegte Steinmetzerzeugnisse,
mit denen sich die lokale Elite darstellte und vor ihren
Nachbarn punktete. Die Aufschrift Otker Radoslav aus
der Kirche von → Sankt Peter am Bichl/Šentpeter na
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55