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Assimilation
Anteil an der massiven A. der Slowenen nach 1945
hatten : der diskriminierende Umgang mit den zurück-
gekehrten Deportationsopfern und Lagerinsassen, der
Umgang mit den slowenischen Befreiungskämpfern
(Partisanen), der Umgang mit den Daheimgebliebenen,
die gesellschaftliche Umkehr der Täter-Opfer-Rollen
unmittelbar nach dem Krieg und in den Jahrzehnten
danach, der im Umgang mit der Schulfrage 1956–1959
seinen Ausdruck fand, die politischen, institutionellen
und wirtschaftlichen Diskriminierungen, der ethnisch
motivierte Verlust oder die Androhung des Verlusts des
Arbeitsplatzes sowie die nicht erfolgte Entnazifizierung
im Schul- und Lehrerausbildungswesen (→ Schulwe-
sen) bzw. im Beamtenapparat (vgl. Wutti/Wutti
2013). So war noch zu Beginn der 70er-Jahre des 20.
Jh.s Dr. Franz Koschier, Direktor des »Landes-
museums von Kärnten«, gleichzeitig Vorsitzender des
Kärntner Heimatdienstes, ein illegaler Nazi in der Vor-
kriegszeit und hochrangiger SSler im von den Nazis
besetzten Slowenien, der den öffentlichen politischen
antislowenischen Diskurs maßgeblich mittrug (vgl.
Brglez : 264). Hinzu kommen die ideologisch begrün-
dete Tabuisierung des Begriffs Slowene/slowenisch in
Gesellschaft, Medien und in der Wissenschaft bzw. die
Reduktion des Gebrauchs des Begriffs im Zusammen-
hang mit negativ besetzten politischen Forderungen
sowie die öffentliche Verwendung einer → Termino-
logie, die das Slowenische aus dem kollektiven Be-
wusstsein drängte, so die zu hinterfragenden Begriffe
→ Zweisprachigkeit, → Gemischtsprachig, → Win-
disch u. Ä. (Kärntner →
Zweisprachigkeitsideologie ;
→ »Entethnisierung«). Diese allgegenwärtigen, sich in
ihrer menschenrechtsverachtenden Haltung gleichen-
den Erscheinungen, Wutti/Wutti sprechen von
»Traumata perpetuierenden Sequenzen«, führten zu
einer immer wiederkehrenden Bestätigung der trau-
matischen Erlebnisse, zu einem weiteren Verlust der
Zukunftsvision und folglich zu einer nachhaltigen und
umso tieferen kollektiven existenziellen Traumatisie-
rung. Und diese muss als Form der tiefen posttrauma-
tischen Belastungsstörung (PTBS) gewertet werden.
Als kollektiver Ausweg aus dieser gesellschaftlich und
individuell untragbaren existenziellen Stresssituation
wurde in der Öffentlichkeit die A. gleichsam suggeriert.
Psychoanalytische Aspekte von Assimilation.
Die A. der Slowenen in Kärnten/Koroška wurde nach
der Rückkehr der Deportations- und KZ-Opfer bzw.
nach Kriegsende für jene, die die Nazigreuel vor Ort
überlebt und unterschiedlichsten Generationen ange- hört hatten, zu einem durchwegs kollektiven Phäno-
men in Verbindung mit PTBS. Dabei weist Marija
Jurič-Pahor (2004) vom psychoanalytischen Stand-
punkt auf die Langzeitwirkung traumatischer Erfah-
rungen der nationalsozialistischen Verfolgungen hin,
da die Opfer eines existenziellen Traumas (sei es ein-
malig, kurzzeitig oder kumulativ und langzeitig) dieses
gleichsam unmittelbar verdrängen müssen, um ihre In-
tegrität zu bewahren (Dissoziation).
Auf das Konzept eines kollektiven Charakters der
Identität aus psychoanalytischer Sicht weist Arthur
B. Mitzman hin. Nach Mitzman (1998) kann sich
Identität durch einschneidende Ereignisse wie etwa
Katastrophen oder aber evolutionär verändern. Dabei
sah »das Endergebnis eines Identitätswandels jedoch
[stets so aus], dass die frühere Mentalität, die bei der
Ausbildung von Normen und Werten in den individu-
ellen Ichs als Über-Ich fungierte, nach ihrer Auflösung
und Unterdrückung mit dem assoziiert wurde, was die
Psychoanalyse vielleicht als Es-Impulse bezeichnen
würde. Jedenfalls wurden die älteren Glaubenssysteme,
wo es sie noch gab, theologisch gesprochen in der Un-
terwelt des Glaubens angesiedelt, mit Assoziationen
an das Böse und den Teufel.« Die Verdrängung und
Verneinung der emotional stark behafteten → Mutter-
sprache kann mit der beschriebenen Verdrängung eines
Glaubenssystems verglichen werden. Wird die (Mut-
ter-)Sprache verdrängt, die ein wesentlicher Träger der
frühesten kindlichen emotionalen Persönlichkeitsbil-
dung ist, kommt dies einer Zerstörung eines wesent-
lichen Teils der tiefsten Identität gleich und das muss
gleichsam überkompensiert werden.
Die massiv auftretende kollektive A. in Kärnten/Ko-
roška stellt einen derartigen traumatischen Identitäts-
wechsel dar, der von den Eltern/den → Assimilanten
zudem tabuisiert werden musste, da, analog zu den von
Bohleber (1998) beschriebenen Nazi-Tätern und -Mit-
läufern, »[u]nerträglicher Zweifel an sich selbst und an
den eigenen Idealen […] zum Zusammenbruch, zu de-
pressiver Entleerung und Selbstanklage geführt [hätte],
wenn sie zugelassen worden wären«. Und diese Tabuisie-
rung hatte umso tiefer greifende Auswirkungen, als sie
ein massives gesellschaftliches Phänomen darstellte, wo
der Einzelne keine gesellschaftlich relevanten relativie-
renden Modelle in der Politik und in den Medien mehr
vorfand (→ Assimilationszwang) (eben im Unterschied
zur Nachkriegssituation in den oben erwähnten Gebie-
ten in Slowenien/Jugoslawien). Zudem wurden A. und
Tabuisierung generationenübergreifend relevant, weil ei-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55