Page - 120 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
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Assimilation
Jahre und Jahrzehnte nach Kriegsende selbst Eltern
und bekamen Kinder, welche wiederum »verspätet« zur
oben beschriebenen zweiten Generation bzw. zur Ge-
neration der Kinder der Opfer wurden.
Für Jurič Pahor (2004) erklärt der lange Zeitraum
der Latenz der Traumatisierung, warum viel an der
etwa von Malle beschriebenen Erinnerungsliteratur
erst Jahrzehnte später verfasst und publiziert wurde,
zumal etwa für Levi die Erinnerung an die Traumata
selbst als traumatisch empfunden wird. Wutti 2012
weist darauf hin, dass in den betroffenen Familien selbst
vielfach über die Erlebnisse und Traumata nicht ge-
sprochen, sondern geschwiegen wurde.
Insgesamt hatte bereits die Generation der direkten
Kinderopfer je nach Altersstufe sehr unterschiedliche
Wahrnehmungsmuster der Diskriminierungen, der
Verfolgung und der Deportation, was zu unterschied-
lichen Formen der Traumatisierung und somit gege-
benenfalls auch zu unterschiedlichen Modellen ihrer
Integration führte.
Die Diskriminierungs- insbesondere aber auch die
Deportationsopfer mussten gleichsam notgedrungen
mangels entsprechender Öffentlichkeitsarbeit, gesell-
schaftlicher Gegenströmungen und therapeutischer
Maßnahmen oder Coachings ihre Traumata weiter-
geben, deren Nachfolgegenerationen übernahmen sie
unbewusst. Was diese posttraumatische Stresssituation
umso schwerwiegender machte, war, dass die Opfer
ohne systematische Aufarbeitung, d. h. ohne »bewusste
seelische Durcharbeitung« (Bohleber 1998) die Trau-
mata nicht in ihre jeweilige persönliche und kollektive
Geschichte als abgeschlossenes Ereignis integrieren
und somit nicht entsprechend überwinden konnten
(im Gegensatz zu den oben erwähnten Slowenen in
Slowenien). Zudem bestätigte der Transfer des Op-
fertums an die nachfolgenden Generationen gleicher-
maßen das eigene Leid. Das wiederum verringerte die
gesellschaftliche Attraktivität des Slowenischen und
trug zusätzlich zum kollektiven Phänomen der A. bei.
Deshalb konnte die A. auch die zweite und dritte Ge-
neration aus den Reihen der ehemaligen slowenischen
gesellschaftlichen Elite in Kärnten/Koroška treffen, die
aus der ersten Welle der Deportierten im April 1942
hervorgegangen waren und die sich in der Regel aus
wirtschaftlich wohlhabenden und/oder politisch und
gesellschaftlich exponierten Familien und Persönlich-
keiten rekrutierten.
Ein Modell zur Überwindung von Traumata entwi-
ckelte Schnabl 2007 im Rahmen der postkonfliktua- len, primär institutionellen und gesellschaftlichen Wie-
deraufbauarbeit in Bosnien und Herzegowina, wobei
dieses stark inspiriert ist von betriebswirtschaftlichen
Wissens-, Prozess- und Konfliktmanagement-Studien
und Erfahrungen und sich in der Praxis bewährt hat.
Es ist durchaus auf verschiedene Trauma-Situationen
übertragbar (ohne sich dabei eine medizinische Di-
mension anzumaßen). Das Modell geht davon aus, dass
die individuelle und kollektive traumatische Erfahrung
– sosehr sie auch Folge von Unrecht und Verfolgung ist,
so real sie ist und so legitim der Ausdruck des Schmer-
zes sein mag – die traumatisierten Personen und Ge-
meinschaften in ihrer Entwicklung insgesamt aufgrund
einer Eigendynamik von Traumata blockiert. Während
die Negativbilder immer wieder aufkommen und noch
relativ klar zum Ausdruck bringen, was nicht gewollt
und was abgelehnt wird, und während im Kollektiv
diese negative Erfahrung immer wieder gegenseitig
bestätigt wird, wird die für die integrierte Persönlich-
keitsentwicklung oder Entwicklung der Gemeinschaft
notwendige positive Zielbestimmung vernachlässigt. Das
Trauma bestimmt subjektiv gleichsam die gesamte
oder einen Großteil der persönlichen Erfahrungswelt
bzw. Persönlichkeit (das Dreieck im Kreis, Schema A).
Die Konzentration und Befassung mit zahlreichen Al-
ternativen und Entwicklungspotenzialen über längere
Zeiträume negiert nicht die Traumata, klammert sie
allerdings im Unterschied zur medizinischen Behand-
lung eigentlich aus und nimmt ihnen so die Allmacht
des Absoluten. Alternative Handlungen und Prozesse
schaffen positive Erfahrungen, die die Allmacht der
Traumata in der Persönlichkeitsentwicklung relati-
vieren und diese so als Teil einer vergangenen per-
sönlichen Geschichte integrieren. Das trägt zu deren
Überwindung bei (Schema B). Da diese Strategie der
Überwindung nicht ein linearer Prozess ist, sondern
in der Verwirklichung kleiner, bisweilen minimals-
ter SMART-Ziele besteht (SMART = Smart, Speci-
fic, Attractive [positiv formuliert], Realistic, Measurable,
Timed), tragen die einzelnen positiven Erfahrungen
schrittweise zur Stärkung der Persönlichkeitsentwick-
lung und zu einem Aufblühen der Persönlichkeit bei
(Schema C). Daher die Bezeichnung Dahlien-Modell
(Schnabl 2010). Dabei kann u. U. das vergangene
Trauma sogar ein Ausgangspunkt für positiv empfun-
dene, kreative Entwicklungsschritte und für die Be-
stimmung einer positiven Lebensvision oder Lebens-
aufgabe sein. Der Schwerpunkt liegt also nicht bei der
Lösung von »Problemen« bzw. der Behandlung der
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55