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Assimilationszwang
Anzeige wegen der Farbe
des Blumenschmuckes bei
slowenischen Inschriften
anlässlich des Bischofsbesu-
ches, KS 26. 8. 1925
durch die Einführung des utraquistischen → Schul-
wesens, das darauf abzielte, dem Slowenischen jegliche
soziolinguistische → Relevanz zu nehmen. Quasi zur
Landesideologie erhoben wurde die Assimilation bzw.
der A. vom Landesverweser Arthur Lemisch in einem
Beitrag in der Kärntner Landsmannschaft vom 25. Ok-
tober 1920, wenige Tage nach der → Volksabstimmung
und den leeren Versprechungen der → Volksabstim-
mungspropaganda, und als Aufgabe definiert, für die
eine Generation Zeit sei.
Eine ideologische Begründung kann in der die his-
torische und gesellschaftliche Präsenz der Slowenen
negierenden ideologischen Positionierung der Landes-
einheit identifiziert werden, die in der →
Windischen-
theorie einen Höhepunkt erfuhr. Ihre Vertreter akzep-
tierten in der Konsequenz nur assimilierte Slowenen, sog.
→ Deutschtümler oder → Windische, und ließen die
Slowenen, die keinen Grund sahen, ihr fundamentales
Grundrecht auf Sprache und Kultur infrage zu stellen,
in keiner Weise am gesellschaftlichen und politischen
Leben teilhaben. Dass es sich dabei um eine Diskrimi-
nierung aufgrund der ethnischen Herkunft und somit
um eine schwere Missachtung der Menschenrechte
handelte, wurde im breiten politischen Konsens in Kauf
genommen. Dabei wurde der gesellschaftliche Konsens
des A. nicht nur von → deutschnationalen Vereinen ge-
tragen, sondern auch von den politischen Parteien der
herrschenden Mehrheit. So hatte Kärnten/Koroška
ab der Mitte des 19. Jh.s, abgesehen vom Bischof von
→ Lavant A. M. → Slomšek sowie im Unterschied
zum Bistum von → Gorizia/Gorica/Görz, auch keinen
einzigen slowenischen Bischof der Diözese →
Gurk/
Krška škofija (abgesehen vom Kurzzeitbischof Jakob P.
→
Paulitsch/Paulič, der wohl slowenischer Her-
kunft war, aber als solcher nicht in Erscheinung trat ; die
Kärntner Slowenen Gregorij → Rožman und Franz X.
→
Luschin/Lušin waren Bischöfe in Ljubljana res-
pektive in Gorizia/Gorica/Görz).
Mit fortschreitender → Assimilation und →
Ger-
manisierung (weitgehend) slowenischer Landesteile
erfasste der A. immer weitere Bereiche des lokalen
politischen und wirtschaftlichen Lebens und wurde
bei Beibehaltung der eigenen slowenischen Sprache
zur höchst traumatisierenden Erfahrung der absolu-
ten Existenzgefährdung (→ Assimilation und PTBS),
bei der die → Assimilanten aus kompensatorischen
Gründen selbst Verfechter des A. waren und die kul-
turelle bzw. sprachliche Identität zu einer territorialen
→ Identität »echter Kärntner« reduzierten. Die so im gesellschaftlichen Diskurs positionierte Gleichung des
Assimilationszwangs lautete : »Slowene = Nationalist,
und nur ein Kärntner, der seine slowenische Herkunft
verneint bzw. sich dieser öffentlich entsagt und dies mit
antislowenischen Handlungen beweist, ist ein ›guter‹
Kärntner.« Und nur als solcher hatten Kärntner (Slowe-
nen) objektiv und subjektiv empfundene gesellschaftli-
che und wirtschaftliche Zukunftschancen. Diese Kon-
stellation prägte für Generationen die Möglichkeiten
der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Partizipa-
tion, ließ statistisch nachverfolgbar (→ Sprachenzäh-
lung) nur die Alternative zwischen Assimilation oder,
in extremis, → Emigration (→
Internierungen 1919 ;
→ Vertreibung 1920 ; Franc → Schaubach) oder zu-
mindest Flucht in die gesellschaftliche Isolation zu, die
zu Auflösungserscheinungen und zur inneren Entso-
lidarisierung der slowenischen Gemeinschaft führten
(→ Kryptoslowenen). Diesem Phänomen konnten die
slowenischen → Kulturvereine und das slowenische
→ Genossenschaftswesen trotz humanistischer An-
strengungen keine den staatlichen Machtinstrumen-
ten vergleichbaren Mittel entgegensetzen, um zu einer
menschenrechtskonformen Situation beizutragen.
Namhafte politische Persönlichkeiten und Kultur-
träger aus dem weitgehend slowenischen südlichen
Landesteil (→ Südkärnten/Južna Koroška) und slowe-
nischer Herkunft bestätigen die empirische Feststel-
lung eines systematischen A. und einer damit einherge-
henden Verneinung der slowenischen ethnischen und
sprachlichen Identität und Herkunft als Bedingung für
gesellschaftliche Partizipation (etwa M. → Abuja, F.
→ Ellersdorfer, T. → Koschat, J. F. → Perko-
nig, V. → Schumy, J. →
Seebacher ; vgl. dazu auch
die diesbezüglichen Überlegungen im Lemma → Ab-
geordnete). Bei anderen verliert sich mit zunehmendem
Alter die Spur öffentlicher Manifestationen der slowe-
nischen Herkunft (A. → Falle, F. X. → Luschin, M.
→ Pernhart, j. → Sablatnig, J. → Scheliess-
nigg). Zu welcher der beiden Kategorien P. → Les-
siak, F. → Welwitsch oder H. → Wolf gezählt
werden können, ist nicht gänzlich geklärt (→ Akkul-
turation).
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55