Page - 129 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
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Aufklärung
Theologe Christian Thomasius (1655–1728) und ins-
besondere Christian Wolf (1679–1754), Professor an
der Universität Halle, sowie seine Schüler J. C. Gott-
sched und A. G. Baumgarten. Sowohl der Glaube
an die Fähigkeiten des Menschen und an seine Vervoll-
kommnung als auch an die Vervollkommnung der Welt,
was der göttlichen Vollkommenheit entspricht, bildet
die Grundlage für seinen Optimismus. Der Mensch
erhielt seinen Verstand von Gott, um ihn aktiv für sein
eigenes Wohl bzw. utilitaristisch einzusetzen. Darum
ist es falsch, A. mit Atheismus gleichzustellen.
In Westeuropa wurde das aufklärerische Gedanken-
gut über Klubs und Salons weitergegeben, in welchen
Adel und Hochbürgertum verkehrten, aber auch über
Publikationen, unter denen die französische Enzyk-
lopädie die größte Rolle spielte, welche das gesamte
bis dahin gesammelte Wissen beinhalten sollte. Auf
mitteleuropäischem Gebiet fand die A. über die Uni-
versitäten und unterschiedliche Akademien und wis-
senschaftliche Vereinigungen, in denen u. a. auch
Theologen und Geistliche tätig waren, protestantische
ebenso wie katholische, Ausbreitung. Zuversicht und
Glaube an den allseitigen Fortschritt ergriffen allmäh-
lich breite Bildungsschichten und wurden in konkrete
Taten umgesetzt. Gesundheitswesen, Hygiene und eine
moderne Wirtschaft wurden zum festen Bestandteil
der Bildung, einschließlich in Priesterseminaren.
Mit dem Rationalismus und der damit verbundenen
Suche nach einer neuzeitlichen, gerechteren sowie ef-
fizienteren Gesellschaftsordnung (»Gesellschaftsver-
trag«) kommt auch das Problem der Sprache auf, eine
Schwierigkeit, die auf ihre Weise paradox ist. Die Spra-
che wird zum unausweichlichen Medium der erweiter-
ten Kommunikation, zum notwendigen Instrument in
Forschung, Bildung und Wissenschaft, wesentlich bei
der freien Meinungsbildung, essenziell in der Gesetzge-
bung, die das Individuum in die Gesellschaft der neuen
demokratischen Welt einbindet. Ähnlich den Fossilien
in der Naturwissenschaft können auch ausgestorbene
Sprachen (z. B. Sanskrit) und altertümliche Texte beim
Evolutionsverstehen einer Welt behilflich sein, die ihre
statische Gestalt verloren hatte. Und gerade unter die-
sem neuen Aspekt bzgl. des Phänomens Sprache hatte
die A. in Mitteleuropa außergewöhnlich fundamentale
und weitreichende Auswirkungen.
Am vernünftigsten wäre der Gebrauch einer einzigen
Sprache, mit deren Unterstützung neue Ideen eingeführt
würden, die so zu einem schnellen Fortschritt der ganzen
Menschheit führten. Der Abstand zwischen Ideal- und Realzustand erwies sich jedoch als zu groß. Das Fran-
zösische als Vermittler und Propagandist aufklärerischer
Prinzipien in Europa hatte sich in den Augen vieler den
Status der klarsten und vollendetsten Sprache verschafft
und besaß eine dominante Position, allerdings nur in
den höheren Gesellschaftsschichten. Die Vielzahl an
noch weniger bekannten Sprachen, die sowohl auf dem
europäischen Kontinent selbst als auch in jenen neuen
Regionen gesprochen wurden, auf welche man im Zuge
von Entdeckungsreisen stieß, stellte sich zunächst als
Hindernis auf dem Weg zur Wissenschaft und zum
Universalismus heraus. Die Ideen der A. konnten auch
durch Übersetzungen oder den Gebrauch dieser »volks-
tümlichen« Sprachen vermittelt werden, die sich von der
Voreingenommenheit anderer befreien mussten.
Andererseits nimmt die A. die Sprache als natürli-
ches, allen anderen Disziplinen ähnelndes Phänomen
wahr und erforscht sie auch als solches. Die Sprache
selbst wird zum Gegenstand der Untersuchungen. Da-
her ist es nicht verwunderlich, dass sich Dobrovský
bzw. Sigismund → Zois nebst der Sprache auch mit
Botanik, Mineralogie u. Ä. beschäftigen.
Dieses zweifache Herantreten an die Sprachen-
problematik ist im Slowenischen besonders anschau-
lich, schließlich wurde die Sprache mit Bartholomäus
→ Kopitars Grammatik, der sich u. a. vornehmlich für
linguistische Charakteristika in den Kärntner Mundar-
ten interessierte (z. B. für Restnasalierung) (→ Dialekt),
im Geiste der neuen Wissenschaft aufbereitet und be-
schrieben. Parallel dazu erschien in den ersten zwei Jahr-
zehnten des 19. Jh.s eine Reihe von qualitativ sehr un-
terschiedlichen Grammatiken und Wörterbüchern auf
Slowenisch. In einer Zeit, in der das Habsburgerreich
modernisiert und das Schulwesen reformiert wurde,
zeugten diese Publikationen von einem betont offenen
Zugang zur Sprache an sich, der wiederum die Notwe-
nigkeit sowie das Interesse an der Sprache belegte.
Die Verbesserungen im Bildungswesen, die mit der
Zeit immer weitere Bevölkerungskreise erreichten
und ebenfalls als Resultat des aufklärerischen Geistes
zu werten sind, hatten wesentliche Auswirkungen auf
die gesellschaftliche Entwicklung, die Sprache und das
Nationalbewusstsein. So bildeten sich in der eigenen
Nationalität allmählich Eliten, die geeint wurden vom
gemeinsamen Wissensdurst und vom Wunsch, das
Licht der Erkenntnis an die eigenen Landsleute in der
eigenen Sprache weiterzugeben. Die Intellektuellen
gründeten unter dem Einfluss des aufklärerischen Ge-
dankengutes Zirkel, kooperierten in Akademien, sorg-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55