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Dezemberverfassung
stämme« in der Oktroyierten Märzverfassung 1849 in
§ 5 festgeschrieben war, ebenso wie in den meisten dar-
auf beruhenden Landesverfassungen 1849/50 jeweils in
§ 3, d. h. jeweils in den konstitutiven Grundsatzartikeln
der Verfassungen.
Daneben werden umfassende Freiheiten gewährt,
Art. 4 die Freizügigkeit der Person ; Art. 5 die Unver-
letzlichkeit des Eigentums ; Art. 6. die Aufenthaltsfrei-
heit bzw. die Freiheit, den Wohnsitz frei zu wählen und
Liegenschaften zu erwerben ; Art. 8 die Freiheit der
Person ; Art. 9 die Unverletzlichkeit des Hausrechts ;
Art. 10 das Briefgeheimnis ; Art. 11 das Petitionsrecht ;
Art. 13 die Meinungsäußerungsfreiheit und die Pres-
sefreiheit ; Art. 14, 15 und 16 verschiedene Aspekte
der Religionsfreiheit für anerkannte und nicht aner-
kannte Religionsgemeinschaften ; Art. 17 die Freiheit
von Wissenschaft und Lehre ; Art. 18 die Freiheit der
Berufswahl ; Art. 20 regelte die zeitliche und örtliche
Suspension verschiedener Grundrechte, wie im Übri-
gen verschiedene Grundrechte gesetzlichen Beschrän-
kungen unterlagen (dieser wurde jedoch nicht in das
österreichische Rechtssystem rezipiert). Bezeichnend
ist jedoch, wie A. Malle dies hic loco darstellt, dass
zwar in der Folge die Zensur in der Republik abge-
schafft worden ist, dass sie aber von der Kärntner Lan-
desregierung wieder eingeführt wurde und die Tätigkeit
der slowenischen → Kulturvereine streng überwachte.
Die Verwaltungsmodernisierung war grundsätz-
lich bereits im Zuge der Oktroyierten Märzverfassung
1849 eingeleitet und überdauerte teilweise die Epoche
des Neoabsolutismus, wobei nunmehr statt der zwi-
schenzeitlich eingerichteten Gemischten Bezirksäm-
ter wieder die Bezirkshauptmannschaften eingerichtet
wurden. Doch war der Wandel eines agrarisch gepräg-
ten Staates in einen modernen Staat im Zeitalter der
industriellen Revolution ohne die Durchsetzung der
liberalen Grundrechte zur Überwindung der statischen
feudalen Strukturen nicht denkbar und folgte in dieser
Hinsicht der Logik der Verfassungsbestimmungen aus
dem Jahr 1849 (→ Binnenwanderung, → Emigration).
Allerdings stand neben der formellen egalitären Ver-
fassungsordnung die gesellschaftliche Realität der ge-
sellschaftlichen Ungleichheit, die eine unterschiedliche
Ausgangslage für die langfristige Nutzung dieser Frei-
heiten der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen mit
sich brachte. Insgesamt verloren die Habsburger bzw.
Österreich durch die kleindeutsche Lösung und durch
das Erstarken Preußens den Führungsanspruch im ge-
samtdeutschen Sprachraum. Durch den Dualismus und den Ausgleich mit Ungarn kommt es mit der ethni-
schen Bipolarisierung im einst – mit Einschränkungen
– multiethnischen Gesamtstaat, dem Kaisertum Öster-
reich, zu einem Erstarken der Polarisierung in der na-
tionalen Frage innerhalb Cisleithaniens bzw. zu einem
in traditionellen Denk- und Machtmustern verhafteten
Führungsanspruch der deutschsprachigen politischen
und wirtschaftlichen Eliten, und zwar gegen die slawi-
sche Mehrheit (in der ungarischen Reichshälfte hatten
die ungarischen Eliten denselben Führungsanspruch).
In Bezug auf die Tschechen kam es 1905 noch zum
Mährischen Ausgleich, doch gegenüber den als »ahisto-
risch« betrachteten Völkern (Slowenen in Cisleithanien
und Slowaken in der ungarischen Reichshälfte) gab es
keinerlei nennenswerte Fortschritte.
Durch die verfassungsrechtliche Bezugnahme auf die
historischen »im Reichsrate vertretenen Königreiche
und Länder« blieben die slowenischen Reichsteile auf-
geteilt in verschiedene Kronländer und innerhalb dieser
– außer in Krain/Kranjska – zahlenmäßige Minder-
heiten bzw. wurden diese einsprachigen slowenischen
Gebiete institutionell zweisprachig, d. h. auch Deutsch
bzw. Italienisch im Küstenland/Litorale/Primorje.
Dieser systemischen Ungleichheit versuchte die slo-
wenische politische Bewegung unter dem Motto eines
Vereinten Sloweniens (→ Zedinjena Slovenija) mit der
Forderung nach einer verwaltungsmäßigen Vereini-
gung aller slowenischen Länder bzw. Reichsteile in
einer verwaltungsmäßigen Einheit bereits ab 1848 zu
begegnen. Sie behielt diese Ausrichtung im Rahmen
der → Tabor-Bewegung ab den 1870er-Jahren und in-
tegrierte sie in die →
Maideklaration 1917 noch mit
dem Ziel, diese Vereinigung »unter dem Zepter der
Habsburgisch-Lothringischen Dynastie« zu verwirkli-
chen. In diesem Kontext begünstigte die Vereins- und
Versammlungsfreiheit (Art. 12) durchaus die lokalen
politischen Strömungen und traf die Behörden ange-
sichts der ersten slowenischen → Tabor-Versammlun-
gen laut A. Malle hic loco unerwartet. Das sloweni-
sche → Vereinswesen, das → Genossenschaftswesen
und die Gründung zahlreicher → Kulturvereine um die
Jahrhundertwende wären ohne dieses Grundrecht nicht
denkbar gewesen und fanden in der Zeit des Neoabso-
lutismus in dieser Form auch nicht statt.
Art. 19 des Grundrechtskataloges wiederum
folgt in der Terminologie noch den vorhergehenden
Verfassungen und differenziert nicht zwischen ethni-
schen → Minderheiten und ethnischen Mehrheiten,
sondern spricht vielmehr von der Gleichberechtigung
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55