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Französische Revolution
August 1792 wird der Palast der Tuilerien von Pariser
Revolutionären gestürmt und der König mitsamt sei-
ner Familie wird gefangen genommen. Im September
desselben Jahres werden willkürliche Hinrichtungen
von klerikalen Gefangenen und mutmaßlichen Revolu-
tionsgegnern vorgenommen. Nachdem die Monarchie
mit den Ausschreitungen des 10. Augusts zu Fall ge-
bracht worden war, stand nun die Nationalversamm-
lung des Dritten Standes an der politischen Spitze, und
mit dem Werkzeug des Revolutionären Tribunals in
den Händen steuerte Frankreich Ende 1792 direkt auf
die »Schreckensherrschaft« der Guillotine zu.
Die Bourgeoisie befindet sich damit endlich in der
Position, um ihre Ideale von ökonomischem und so-
zialem Liberalismus bedingungslos durchzusetzen. Die
Bevölkerung ist durch den Krieg verängstigt und sinnt
auf Rache am Adel und Klerus. Die Institution der
Monarchie scheint völlig in Ungnade gefallen zu sein.
Als am 20. September 1792 ein entscheidender Schlag
gegen die Preußen in der Schlacht bei Valmy gelingt,
nutzt die Nationalversammlung die Euphorie des Mo-
ments, um noch am selben Tag den Staat für laizistisch
zu erklären, und am Tag darauf die Abschaffung der
Monarchie und die Errichtung der Ersten Republik
zu proklamieren. Damit entledigt sich die Bourgeoisie
gleich zweier unerwünschter Mitspieler : der katholi-
schen Kirche und des französischen Königshauses.
Für die Vertretung der Handelsbourgeoisie, die Gi-
rondisten, gilt die Liberalisierung der Wirtschaftspro-
zesse als oberstes Gebot. Die Durchsetzung des un-
beschränkten Eigentums für den Nicht-Adel und der
Zugriff auf zuvor staatshoheitliche Wirtschaftsmono-
pole waren der eigentliche Beweggrund ihres revolu-
tionären Treibens. Man bediente sich nach Souboul
der Bevölkerung, um den nötigen Regimewechsel zu
erkämpfen und eigene Interessenvertreter über die Na-
tionalversammlung in politische Schlüsselpositionen
zu wählen. Brisset, ein Vertreter der Girondisten, äu-
ßert sich 1792 folgendermaßen : »Die Zerstörer sind
jene, die alles gleichmachen wollen, das Eigentum, den
Wohlstand, die Lebensmittelpreise, die verschiedenen
in der Gesellschaft zu leistenden Dienste« (Soboul,
2000, 76). Man erkennt anhand dieser Aussage bereits
den liberal-ökonomischen Geist, der den Beginn der
industriellen Revolution und der Klassenkämpfe an-
kündigt.
Im auffallenden Gegensatz dazu standen die Monta-
gnards. Als überzeugte Republikaner wollten diese das
Gerüst der neu gegründeten französischen Nation auf einem starken sozialen Patriotismus aufbauen. Robe-
spierre (1792) : »Das oberste Recht ist das Recht auf
Leben. Das erste Sozialgesetz besteht also darin, dass
allen Mitgliedern der Gesellschaft die Mittel zum Le-
ben garantiert werden ; alle anderen Gesetze sind dem
untergeordnet« (Soboul, 2000, 77). Diese beiden die
Nationalversammlung dominierenden Lager lieferten
sich ab 1793 nach der Hinrichtung des des Hochver-
rates für schuldig erklärten Königspaares einen erbit-
terten Machtkampf, der über ganz Frankreich hinweg
ausgetragen werden würde. Eine fatale Rolle kam dem
Revolutionären Tribunal zu, welches die Todesurteile
über die durch das »Comité du salut public« (Komitee
des allgemeinen Wohls) angeklagten, mutmaßlichen
Revolutionsgegner, Verräter und Feinde der französi-
schen Nation aussprach. Die politische Denunziation
führte dazu, dass sich unter den Opfern der Guillotine
auch viele politische Gegner aus den verfeindeten La-
gern wiederfanden. In der kurzen Zeitspanne zwischen
April 1793 und Juli 1794 fanden annähernd 100.000
Menschen ihren Tod durch Enthauptung.
Die Kenntnis um die Ereignisse im revolutionären
Frankreich verbreitete sich mit Windeseile in ganz Eu-
ropa. Dies hatte eine Reihe von Reaktionen zur Folge :
Bei der europäischen Regentschaft führte es zu inne-
ren Meinungsumschwüngen ; so nahmen die einst als
aufgeklärt geltenden Monarchen wie Joseph II., Ka-
tharina die Grosse und Friedrich II. Abstand
von ihren fortschrittlichen politischen Ideen, während
sozio-politisch unterdrückte Volksgruppen innerhalb
der europäischen Großreiche in den Schlagworten der
Revolution : Liberté, Égalité et Fraternité, auf Deutsch :
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, einen Wegwei-
ser aus ihrer Misere sahen. Die Freiheit bezog sich in
diesem Kontext direkt auf die Deklaration der Men-
schen- und Bürgerrechte von 1789. Dem folgend be-
deutete »Freiheit«, das Recht zu haben, alles zu tun,
solange es nicht einem anderen Schaden bringe. Der
Begriff »Gleichheit« basiert auf dem revolutionären
Gedanken, dass das Recht für jede/n gleich sei, und
kein Unterschied der sozialen Geburt die Wahrheit,
dass alle Menschen vor der Natur und dem Recht
gleich seien, beeinflusse.
Der letzte Begriff »Brüderlichkeit« drückt ein rein
sozial-staatliches Gedankengut aus, so sollten der ge-
sellschaftliche Zusammenhalt, die Solidarität und die
gegenseitige Wertschätzung der Bürger und Bürgerin-
nen der 1. Französischen Republik den Weg in eine
bessere Zukunft weisen.
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55