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Gaj, Ljudevit
Slowaken, Tschechen, Serben und schloss Freundschaft
mit Jan Kollar, der ihm Tschechisch beibrachte. Über
Kollar erfuhr G. von P. J. →
Šafařík, den er wäh-
rend seines Pragbesuches 1833 persönlich kennenler-
nen sollte.
1830 publizierte G. in Buda sein Buch Kratka osnova
horvatsko-slavenskoga pravopisanja [Kurze Einführung
in die kroatisch-slawische Rechtschreibung], in dem er
den Kroaten die Annahme der tschechischen Recht-
schreibung nahelegte (→ Hus, Jan). Dieses Werk war
zudem durchdrungen von der Idee der ethnischen Ver-
wandtschaft, der kulturellen und sprachlichen Nähe so-
wie der Einheit der historischen Schicksale der slawi-
schen Völker. G. brachte die Hoffnung zum Ausdruck,
dass auch die slowenische Orthografie nach dem Mus-
ter der tschechischen verändert werden würde, denn
nur durch die Annahme eines einheitlichen Alphabets
könnten die zahlreichen Dialekte der Slawen in die vier
slawischen Hauptdialekte zusammenfließen. Zu jener
Zeit war G. überzeugt, dass die Slowenen in Vorzeiten
Kroaten gewesen wären. Nach ihm ist die in der Folge
insbesondere von den Kroaten und Slowenen verwen-
dete → Schrift Gajica benannt.
Nach seiner Ankunft in Zagreb Ende 1831 wurde
G. zum politischen Anführer der kroatischen Patrioten.
Unter aktiver Unterstützung J. → Draškovićs gelang
es ihm, die Genehmigung zur Herausgabe der Zeitung
Novine Horvatzke (Novine) samt Literaturbeilage Da-
nicza Horvatzka, Slavonzka i Dalmatinzka (Danica) zu
erhalten. Die Zeitung samt Beilage erschien ab Jänner
1837 ; daran beteiligten sich nicht nur kroatische Patri-
oten, sondern auch Anhänger der →
Illyrischen Bewe-
gung aus anderen slawischen Ländern. 1835 publizierte
G. einige Artikel in der Danica. Er stellte darin die Be-
hauptung auf, dass das 80 Millionen starke slawische
Volk, das flächenmäßig die Hälfte Europas und ein
Drittel Asiens einnehme, sich in zwei Zweige teile : den
illyro-russischen und den tschechisch-polnischen. Der
illyro-russische wiederum teile sich in den illyrischen
und den russischen. Zum illyrischen Zweig gehörten
Kroatien, Slawonien, Dalmatien, Südungarn, die Un-
tersteiermark/Spodnja Štajerska, → Krain/Kranjska,
Kärnten/Koroška, Istrien/Istra, Bosnien, Herzegowina,
Montenegro, Dubrovnik, Serbien und Bulgarien. Ge-
meinsam bildeten sie Großillyrien – ein großes Volk,
das schon seit einigen Tausend Jahren bestehe. G. wies
darauf hin, dass »die Muttersprache das festeste Binde-
gewebe der Einheit und die stärkste Stütze der nationa-
len Souveränität« sei. Unter Berufung auf das Beispiel der Deutschen und der Italiener rief er alle Illyrer (Süd-
slawen) dazu auf, eine einheitliche Literatursprache zu
schaffen. Den gebildeten Slawen empfahl er das Stu-
dium sowohl der lateinischen als auch der kyrillischen
→ Schrift. Er trat vehement gegen jegliche Intoleranz
in religiösen Fragen auf.
Ab Ende der 30er-Jahre beteiligte sich G. aktiv am
politischen Kampf. Während seines Berlin-Aufenthalts
1838 übersandte er über den russischen Polizeichef
Benckendorff ein Memorandum an den russischen
Zaren Nikolaj I. Darin schlug er die Organisation
eines Aufstandes in Bosnien und Herzegowina vor.
Nach deren Befreiung sollten beide gemeinsam mit
Serbien und Albanien der Oberhoheit Russlands un-
terstellt werden. Für dieses Unternehmen erbat er die
Summe von 3 Millionen Forint. Sein Memorandum
blieb unbeantwortet. Während seiner Russlandreise
1840 suchte G. bei der russischen Regierung erneut
um materielle Unterstützung an, wobei er versprach, in
seinen Publikationsorganen zugunsten Russlands zu
wirken und sich insbesondere dafür einzusetzen, dessen
Einfluss bei den Südslawen zu verstärken. Gleichzeitig
übergab er M. P. Pogodin eine Notiz, in der er seine
Bereitschaft erklärte, alle Illyrer auf Basis der kyrilli-
schen Schrift und des orthodoxen Glaubens zu verei-
nen. Die russischen Behörden enthielten sich jeglicher
Antwort auf G.s Appell ; die russischen Slawophilen
und die Russische Akademie der Wissenschaften hin-
gegen stellten ihm 25.000 Rubel zur Verfügung. G.
wurde zum Wirklichen Mitglied der Gesellschaft der
Freunde der Geschichte und des Altertums in Odessa
gewählt.
Nach dem behördlichen Verbot der Bezeichnung »Il-
lyrer« im Jahr 1843 trat G. als Anführer dieser Bewe-
gung offiziell zurück. Ab 1844 stellte er geheime Kon-
takte zum Vertreter der polnischen Emigration auf dem
Balkan, F. Zach, her. 1846 reiste G. nach Belgrad, wo
er vom serbischen Fürsten Aleksandar Karađorđević
eine gewisse Geldsumme erhielt. Seine zweite Belgrad-
Reise fand 1847 statt. Zu jener Zeit betrachtete G. Bel-
grad als das Zentrum eines zukünftigen Großillyriens.
Er erstattete auch Metternich Bericht über seine
Reisen.
Mit dem Beginn der Revolution 1848 schaltete sich
G. aktiv in die Politik ein. Am 25. März 1848 verfasste
eine Gruppe kroatischer Nationalisten die »Forderun-
gen des kroatischen Volkes«. Mit diesen Forderungen
trat eine Delegation unter der Führung G.s den Weg
zum Kaiser an. G. nahm bis zum 11. Juni 1848 an der
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55