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Glottonyme
Unrecht wenig beachtetes Gebiet der Sprachwissen-
schaft. Literaturüblich werden G. von Sprachwissen-
schaftern und Historikern konventionell und unbe-
dacht verwendet. In vielen Fällen ist die semantische
Abgrenzung von → Ethnonymen/Völkernamen und
Choronymen/Ländernamen (Gegendnamen) ungenau.
Besonders mit dem Zusatz alt werden Fakten vorge-
täuscht, die es nicht gab. Althochdeutsch (es gibt keine
Althochdeutschen) ist nicht altes Hochdeutsch, sondern
altes Alemannisch, altes Fränkisch, altes Bairisch (→ Alt-
bairisch). Die Übersetzung des lateinischen G. sclava-
niscus mit »slawisch« ist meist nicht korrekt. Es kann in
Karantanien auch → altslowenisch, → karantanerslowe-
nisch, → alpenslawisch bedeuten.
Das G. slowenisch wird im Deutschen ausgehend von
der wissenschaftlichen Literatur ab dem 19. Jh. verwen-
det. Das slowenische slovenski ist seit → Trubar und
→
Dalmatin belegt, wiewohl schon die →
Freisinger
Denkmäler heute als »slowenisch« (→ altslowenisch,
→
karantanerslowenisch, → Ethnonym Slovenci im
Slowenischen, → Ethnonym Slowenen im Deutschen)
bezeichnet werden. Die Sprachbenennung (Eigenbe-
nennung und Fremdbenennung) ist meist nicht volks-
sprachlich (vulgare vocabulum) sondern von Sprach-
wissenschaftern eingeführt. Kein Sprecher würde seine
Sprache je als alt (altslowenisch, altbulgarisch, → alt-
bairisch) benennen. Die (volkstümliche) bairische und
später deutsche Bezeichnung →
Windisch für »Slowe-
nisch« ist heute veraltet und historisch.
Folglich sind die »volkstümlichen« G. und die
sprachwissenschaftlichen zu unterscheiden. → Alpen-
slawisch oder → Karantanisch sind unpräzise G., die
dasselbe meinen, ohne dass der Sprachwissenschaft mit
dieser Differenzierung gedient wäre. Alle G. mit dem
Zusatz alt entsprechen einer linguistischen Perspektive.
Für altbulgarisch gibt es über 50 »wissenschaftliche« G.
Der ideologische Streit um die G. → altslowenisch, alt-
slawisch, altkirchenslawisch, altrussisch, altbulgarisch zeigt
terminologische Grauzonen. Eigenbenennung war im-
mer slavensk/slavjansk oder slovensk/slovjansk, meist als
Gegensatz zu »Latein«, in kärntnerslowenischen Dia-
lekten noch heute slovenje : govorit slovenje (im Dialekt
swoweje). Eine linguistisch fundierte Abgrenzung von
altslowenisch gegenüber altslowakisch, alttschechisch, alt-
kroatisch ist aufgrund fehlender Texte nicht möglich
und daher auch nicht sinnvoll.
Völlig unbrauchbar und missverständlich sind die
Bezeichnungen → »gemischtsprachig« statt zweispra-
chig, oder »einzelsprachlich« und »voreinzelsprachlich« für ältere Stadien der Sprachgeschichte (→
Zweispra-
chigkeit, → Zweisprachigkeits-Ideologie, →
Misch-
sprache). Urslawisch, gemeinslawisch, südslawisch sind
wissenschaftliche G. ideologischer Ansichten einer ver-
meintlich gemeinsamen Sprachentwicklung. Ebenso
ist indogermanisch oder indoeuropäisch kein G. für eine
reelle, sondern eine inexistente Rekonstruktions-Spra-
che der Sprachwissenschaft. Die Grenze sinnvoller
Sprachbenennung erweist sich an Bezeichnungen wie
altjugoslawisch, altmakedonisch oder altdeutsch. Chrono-
logische Differenzierungen nach dem Modell der Brüder
Grimm (Alt/, Mittel/, Neu/Hochdeutsch) entsprechen
keiner sprachhistorischen (räumlichen oder sozialen)
Realität. Es hat vor dem 16. Jh. kein Hochdeutsch und
kein Standard-Slowenisch gegeben. Die Benennung
von Altsprachen und Dialekten (nicht standardisier-
ten Sprachen) wie bairisch, alemannisch, fränkisch oder
alpenslawisch, windisch, karantanisch, krainisch ist mehr
»wissenschaftlich« als volkstümlich, insgesamt aber un-
genau. Die Österreicher wissen im Allgemeinen nicht,
dass sie, linguistisch gesehen, außer in Vorarlberg bai-
risch sprechen. Die literaturübliche Einteilung der slo-
wenischen Dialekte von → Ramovš ist aufgrund ex-
klusiv phonetischer Besonderheiten erstellt. Im »Volk«
ist jedem bewusst, dass manche »anders« reden : die
Gailtaler anders als die Jauntaler und Rosentaler. An
sog. Kennlauten (kamen/ˀamen, gora/hora) und Kenn-
wörtern (potok/reka/struga »Bach«, boršk/boršt/gora/gozd/
les »Wald«, modlit/petat »beten«) lassen sich phonetische
und lexikalische Unterschiede markieren. Dennoch
bleibt die Benennung von Dialekten eher arbiträr, die
von Standard-Sprachen plausibel. Standardsprachen
sind geografisch und sozial klar abgrenzbar. Die Benen-
nung von Dialekten aufgrund nur phonetischer Merk-
male (Isoglossen) bleibt philologischer Selbstzweck,
solange sie sonst nichts repräsentieren (administrative
oder religiöse Einheiten, Religionsgemeinschaften,
wirtschaftliche Gemeinschaften). Die G. der sloweni-
schen Dialekte in Kärnten nach Ramovš orientieren
sich nach zentralen Talschaften : → Gailtal/Ziljska do-
lina, →
Rosental/→ Rož, → Jauntal/Podjuna (→ Dia-
lektgruppen, → Gailtaler-, → Rosentaler-, → Jauntaler
Dialekt). Vgl. damit die volkstümlichen G. im Register
der Bibel von → Dalmatin : Crajnski, Coroshki, Slo-
venski ali Besjazhki, Hervazki, Dalmatinski, Istrianski
ali Crashki. Erstaunlicherweise fehlt bei Ramovš ein
G. für »Klagenfurt-Umgebung«, besonders die nörd-
liche, in der sich seit Virunum, in → Karnburg/Krn-
ski Grad und Maria Saal/Gospa Sveta die wesentliche
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55