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Graz
Einzelpersonen noch Unterstützungs- und Kranken-
vereine, u. a. das 1897 gegründete Podporno društvo za
slovenske visokošolce [Unterstützungsverein für sloweni-
sche Hochschüler]. Als die interethnischen Spannun-
gen zu Beginn des Ersten Weltkriegs dramatisch zu-
nahmen, bedeutete dies auch das Ende des vielfältigen
kulturellen Lebens der Slowenen in G.
G. hatte bis 1918 eine bedeutende Rolle als Mit-
telpunkt der sozialistischen Arbeiterbewegung, da be-
reits ab 1874 die gesamte Bewegung in der Steiermark/
Štajerska unter dem Einfluss der Zentrale in G. stand.
Erst Mitte der 90er-Jahre des 19. Jh.s trat Ljubljana als
Zentrum de jugoslawischen Sozialdemokratie auf.
G. war auch als Publikationsort zahlreicher slowe-
nischer Bücher und Zeitschriften von Bedeutung, wie
etwa der Čitalnica [Leseverein] (1865–66), Štajerski
gospodar [Steirischer Besitzer] (1869–78, 1884) in Gos-
podarski glasnik za Štajersko [Wirtschaftszeitschrift für
die Steiermark] (1884–1918). In G. erschienen auch
die in slowenischer Sprache gedruckten Landesgesetz-
blätter : Allgemeines Landesgesetz- und Regierungs-
blatt für das Kronland Steiermark (Obči deželni zakonik
in vladni list štajerske kronovine) (1850–51), Allgemei-
nes Landesgesetz- und Regierungsblatt für das Her-
zogthum Steiermark (Obči deželni zakonik in vladni list
za vojvodino Štajersko) (1852), Landes-Regierungsblatt
für das Herzogthum Steiermark (Deželni vladni list za
vojvodino Štajersko) (1853–59), Verordnungen der Lan-
desbehörden für das Herzogthum Steiermark (Ukazi
deželnih oblasti za vojvodino Štajersko) (1860, 1862–63),
Verordnungen der Landesbehörden der vereinigten
Kronländer Steiermark und Kärnten (Jänner bis inkl.
April) dann für die Steiermark allein (Mai bis Ende
Dezember) (Ukazi deželnih oblasti za zedinjene krono-
vine Štajersko in Koroško) (1861), Landesgesetz- und
Verordnungsblatt für das Herzogthum Steiermark
(Deželni zakonik in ukazni list za vojvodino Štajersko)
(1864–1918).
Obwohl G. im deutschen ethnischen Territorium
liegt, war es bis zum Ersten Weltkrieg eines der bedeu-
tendsten kulturellen, politischen und wirtschaftlichen
Zentren für die Slowenen. Zwar wiesen die amtlichen
statistischen Publikationen im ersten Jahrzehnt des 20.
Jh.s in G. nur etwas mehr als tausend Einwohner mit
slowenischer → Umgangssprache aus. Dennoch deutet
das lebhafte slowenische kulturelle und politische Le-
ben der Grazer Slowenen darauf hin, dass diese Zahl
deutlich zu gering angesetzt ist. Wie hoch die tatsäch-
liche Zahl der Slowenen in G. war, ist schwer einzu- schätzen, da die Volkszählungen in Cisleithanien die
Umgangssprache erhoben, d. h. die Sprache, die eine
Person unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft in
der Öffentlichkeit verwendet. Das machte es praktisch
unmöglich, dass die Angehörigen nicht deutsche Völker
in der österreichischen Monarchie, die auf deutschem
Sprachgebiet lebten, ihre → Muttersprache anführten.
Viele führten das Deutsche auch als Umgangssprache
aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes an. An-
gemerkt sei, dass die Grazer Volkszählungskommission
bereits 1901 die Anweisung erhielt, dass sie bei slo-
wenischsprachigen Personen, die ein öffentliches Amt
ausüben, in der Rubrik »Umgangssprache« »deutsch«
angeben sollten. Aufgrund dieser Überlegungen sollen
nach gewissen Schätzungen am Ende des ersten Jahr-
zehnts des 20. Jh.s in G. und Umgebung 20.500 Perso-
nen slowenischer Herkunft gelebt haben. Da sie jedoch
nicht genügend wirtschaftliche Macht hatten, konnten
sie sich der → Assimilation nicht erwehren.
Während des Ersten Weltkriegs wirkte in G. eine
Reihe »jugoslawischer« Studentenvereine, die jedoch
bald ihre Aktivitäten einstellen mussten, als nach dem
Krieg alles als »fremd« und »feindlich« stigmatisiert
wurde, was mit dem Slawischen in Verbindung stand.
Obwohl wegen des Assimilationsdrucks der Mehrheit
und der Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg das
Slowenische in G. nicht mehr erwünscht war, wurde
1921 der Verein Jugoslovansko akademično društvo [Ju-
goslawischer akademischer Verein] gegründet, der je-
doch bereits 1923 aufgelöst wurde. Noch im selben Jahr
gründeten slowenische Studenten den Verein Triglav,
den zweiten unter diesem Namen in G. Auch die Sla-
wistik an der Grazer Universität hatte zwischen den
beiden Weltkriegen eher den Charakter eines slawi-
schen kulturgeschichtlichen Lehrstuhls. Deshalb er-
staunt es nicht, dass 1934 in G. lediglich 189 Personen
mit slowenischer Umgangssprache gezählt wurden und
dass zahlreiche steirische Historiker nach dem → »An-
schluss« 1938 schrieben, dass »Graz wieder ein fester
Grundstein des Deutschtums im Südosten des Verei-
nigten Reiches alles Deutschen« sei.
Lit.: W. Hecke : Volksvermehrung, Binnenwanderung und Umgangs-
sprache in den österreichischen Alpenländern und Südländern. In Statis-
tische Monatsschrift 39–1 (1913), 323–392 ; Richard Pfaundler : Die
Grundlagen der nationalen Bevölkerungsentwicklung Steiermarks. In
Statistische Monatsschrift 33–1 (1917), 557–592 ; W. H. Hubbard : Auf
dem Weg zur Großstadt : Eine Sozialgeschichte der Stadt Graz 1850–
1914 (= Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studien, 17). Wien
1984 ; S. Hafner : Geschichte der österreichischen Slawistik. In J. Hamm,
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 1: A – I
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 542
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55