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Kärnten/Koroška
yalitätserklärungen seitens der führenden politischen
Akteure am 10. April 1938 brachte die Zeit der nati-
onalsozialistischen Herrschaft für die Kärntner Slo-
wenen einschneidende Veränderungen, die auf »eine
totale Integration und Auflösung der Volksgruppe« (A.
Suppan) hinausliefen (→
Assimilation ; → Germani-
sierung). Ab April 1941 setzte seitens des NS-Staates
eine gezielte Enteignungs- und Aussiedlungspolitik
ein (→ Deportationen 1942, → »Generalplan Ost«).
Ein Jahr später begann sich der Widerstand in der
Osvobodilna Fronta [Befreiungsfront] zu organisieren.
In Südkärnten [Južna Koroška] begann ein Partisa-
nenkrieg. Am 8. Mai 1945 besetzten Tito-Truppen
Klagenfurt [Celovec]. Jugoslawien beanspruchte das
Gebiet südlich der Drau (Drava). Auf britischen und
sowjetischen Druck hin zogen sich die jugoslawischen
Truppenverbände zurück.
Am 6. Mai 1945 hatte sich eine provisorische Lan-
desregierung (7. Mai–6. Juni 1945) konstituiert. Ihr
folgte der konsultative Landesauschuss (6. Juni–25.
Juli 1945) und eine weitere provisorische Landesregie-
rung, der je drei Vertreter der SPÖ und ÖVP, einer der
KPÖ und ein Vertreter der Kärntner Slowenen (Joško
→
Tischler) angehörten. Bei den Landtagswahlen
am 25. November 1945, bei der die SPÖ 48,8 % (18
Mandate), die ÖVP 39,7 % (14 Mandate), die KPÖ
8,1 % (3 Mandate) und die »Demokratische Partei«
3,3 % (1 Mandat) der Stimmen erreichten, kandidierte
keine Partei der Kärntner Slowenen. Vier Jahre später
traten die Democratična fronta delavnega ljudstava [De-
mokratische Front des werktätigen Volkes] (0,8 %) und
die Ljudska krščanska stranka [Christliche Volkspartei]
(1,9 %) an (Luka → Sienčnik). Sie erreichten kein
Mandat.
Die Neuorganisierung der Kärntner Slowenen, die
sich in ein katholisches und ein kommunistisch ori-
entiertes Lager spalteten, schritt voran. 1946 fand die
Gründung der Slovenska prosvetna zveza [Slowenischer
Kulturverband] und 1949 jene des Narodni svet koroških
Slovencev [Rat der Kärntner Slowenen] statt. 1955 kon-
stituierte sich die Zveza slovenskih organizacij [Zentral-
verband slowenischer Organisationen in Kärnten]. Im
Gefolge des Bruches zwischen Stalin und Tito hatte
→
Jugoslawien im Herbst 1948 seine territorialen An-
sprüche aufgegeben. Der Staatsvertrag (15. Mai 1955)
garantierte im Artikel sieben die Rechte der sloweni-
schen → Minderheit (u. a. Recht auf den Schulunter-
richt in der → Muttersprache, Zulassung des Slowe-
nischen als zusätzliche →
Amtssprache, zweisprachige topografische Aufschriften) im gemischtsprachigen
Gebiet (→ Zweisprachigkeit). Die Umsetzung ließ
auf sich warten. In Südkärnten (Južna Koroška) ent-
brannte ein »Schulkampf« (H. Valentin). 1959 wurde
die Schulverordnung des Jahres 1945 aufgehoben. Das
neue Minderheitenschulgesetz (1959), das zwar die
Einrichtung des slowenischen Gymnasiums brachte,
führte zu einem erheblichen Rückgang der zum zwei-
sprachigen Unterricht angemeldeten Schüler. Im Ver-
laufe der Diskussion um die Minderheiten(schul)- und
Gerichtssprachgesetzgebung verschärften sich wäh-
rend der 1960er- und 1970er-Jahre die Gegensätze in
der Volksgruppenfrage. Die Aufstellung zweisprachi-
ger Ortstafeln im Herbst 1972 führte zum »Ortsta-
felsturm«. 1976 beschloss der Nationalrat ein »Volks-
gruppengesetz«. Eine dauerhafte Beruhigung der
Volksgruppenfrage wurde damit nicht erreicht. Einen
ersten Schritt in Richtung einer Deeskalation brachte
das Minderheitenschulgesetz des Jahres 1988. Es kam
zur Gründung zweisprachiger Höherer Schulen für
die Slowenen. 1995 sprach bei der Gedenkfeier zum
10. Oktober mit Valentin → Inzko sen. erstmals ein
Vertreter der Kärntner Slowenen. Das Volksgruppen-
gesetz 2011 brachte eine umfassende Regelung der
Minderheitenrechte, die von allen politischen Kräften
anerkannt wurde.
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Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur