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Kidrič, France
Institution Znanstveno društvo za humanistične vede
[Wissenschaftlicher Verein für humanistische For-
schungsdisziplinen] war K. Mitglied, genauso wie er
1938 zu den Gründungsmitgliedern der Slowenischen
Akademie der Wissenschaften und Künste (Slovenska
akademija znanosti in umetnosti, SAZU) zählte. Wäh-
rend der Okkupation → Jugoslawiens durch das natio-
nalsozialistische Deutschland und weiterer drei Staaten
war er Mitglied des Gründungsausschusses der Befrei-
ungsfront (Osvobodilna fronta, OF) an der Universität.
In der Zeit von Februar 1942 bis zum Kriegsende 1945
überlebte K. in italienischen und deutschen Gefängnis-
sen und war konfiniert. 1945 wurde er zum Präsidenten
der SAZU gewählt. Aus gesundheitlichen Gründen
gab er 1948 die Lehrtätigkeit an der Universität auf
und wurde an der SAZU der erste Leiter des Instituts
für Literaturen.
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte K. bibliogra-
fische Beiträge, biografische Artikel und Problemana-
lysen zu literatur- und kulturhistorischen Fragen pub-
liziert, sein Schwerpunkt war damals die Reformation
(→ Protestantismus) und die Wiedergeburtsbewegung
(→ preporod). Dem Fachdilettantismus und der Verhaf-
tung in ideologischer Tendenzhaftigkeit der damaligen
literaturhistorischen Publizistik bot er in polemischen
Schriften Paroli. K. verfocht eine klare slowenische
Kulturautonomie und lehnte daher alle Bestrebungen
des → Neoillyrismus ab. Das bis dahin erfasste litera-
tur- und kulturhistorische Material hat K. nach seiner
Berufung an die Universität in Ljubljana um viele neue
→
Quellen bereichert. Sein Verdienst war es, das bi-
bliografische und chronologische Gerüst für die Zeit
der Reformation und →
Gegenreformation solide aus-
gebaut zu haben. Dazu erstellte er zahlreiche akribisch
aufgebaute → Biografien, die heute Quellenwert haben,
wie jene von Primož → Trubar, Adam →
Bohorič
und Jurij → Dalmatin, aber auch jene von Janez
Žiga Popovič (Johannes Sigismund → Popowitsch).
Systematisch beschrieb er die Epoche des preporod ;
vier seiner fünfbändigen Zgodovina slovenskega slovstva
(1929–1938) [Geschichte der slowenischen Literatur]
sind ihr gewidmet ; er konnte sie nicht, wie ursprüng-
lich geplant, bis zum Jahr 1848, sondern nur bis zum
Jahr 1819 führen. Seine Bearbeitung des preporod wird
teilweise durch K.s Prešeren-Forschungen ergänzt.
Studien, vor allem biografische, bereiteten seine kriti-
sche Prešeren-Ausgabe (1936) vor, sie dienten auch
als Grundlage für seine Prešeren-Monografie (1938),
die ebenso unvollendet blieb ; von der angedachten Fortsetzung erschienen nach dem Krieg nur einige
Ausschnitte.
Eine besondere Variante des literaturhistorischen
Positivismus geht auf eine Entwicklung von K. zurück.
Dabei verband er die kausal-genetische Bearbeitung der
Literatur mit kulturellen, politischen und sozialen Pro-
zessen und Einflüssen aus dem Ausland, um dann ihre
Entwicklung als Funktion der gesamten Vergangenheit
der Nation aufzufassen. Nach K. behinderten histo-
rische Verhältnisse in den älteren Epochen eine nor-
male politische und soziale Entwicklung im sloweni-
schen Raum, was ein Aufblühen der Kultur unmöglich
machte. Das sei der Grund dafür, dass die slowenische
Literatur im Vergleich zu den Literaturen entwickelter
europäischer Nationen rückständig sei ; seit der Mitte
des 18. Jh.s überwinde sie im Verlauf des preporod die-
sen Zustand schrittweise, weshalb dieser den zentralen
Gegenstand der literaturhistorischen Forschung bildet.
K.s Vision der Geschichte als Resultat von objektiver,
unparteiischer wissenschaftlicher Forschung war für
ihn untrennbar mit Elementen einer national-affir-
mativen Ideologie durchflochten. Damit stieß K.s Va-
riante der Literaturgeschichte auf großes öffentliches
Echo und erfuhr breite gesellschaftliche Akzeptanz.
Der slowenische Teil von Kärnten/Koroška war für
K. selbstverständlicher Bestandteil des slowenischen
Sprach- und Kulturraums (→ Kulturgeschichte). Aus
Gründen der Verflechtung von Literatur mit kausa-
len Zusammenhängen aus außerliterarischen Ein-
flusssphären behandelte K. ihre Entwicklung getrennt
nach Ländern bzw. Regionen und engeren Gebieten
im Hinblick auf die verschiedenen lokalen Verhält-
nisse. Seine Forschungen zur kärntnerslowenischen
Literatur sind in seine Zgodovina slovenskega slovstva
eingeflossen, zumeist im Band 5 (1938), der u. a. Ur-
ban → Jarnik, Matija → Schneider, das anonyme
→ Eisenkappler Passionspiel (Kapelški pasjon), Andrej
→ Schuster-Drabosnjak und Miha → Andreaš
behandelt (S. 668–684).
Werke : Primož Trubar. K njegovi štiristoletnici. In : Domovina 1908
[in Fortsetzungen] ; Die protestantische Kirchenordnung der Slove-
nen im XVI. Jahrhundert. Heidelberg 1919 ; Ogrodje za biografijo
Primoža Trubarja. In : RDHV 1 (1923) 179–272 ; Bibliografski uvod
v zgodovino reformacijske književnosti pri južnih Slovanih v XVI. veku.
Ljubljana 1927 ; Razvojna linija slovenskega preporoda v prvih razdob-
jih. In : RDHV 5–6 (1929) 42–119 ; Dobrovský in slovenski preporod
njegove dobe. Ljubljana 1930 ; Zgodovina slovenskega slovstva. 5 Bd.
Ljubljana 1929–38 ; Korespondenca Janeza Nep. Primca 1808–1813.
(Hg.) Ljubljana 1934 ; Prešeren I. Pesnitve – pisma. (Hg.) Ljubljana
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur