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Kulturvereine, slowenische in Kärnten/Koroška
Frauen und Mädchen, die sich politisch beim Sammeln
von Unterschriften für die → Maideklaration 1917 be-
wiesen.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gab es kein
organisiertes und zentral geleitetes kulturelles Wirken.
Zahlreiche → Quellen sprechen davon, dass der Krieg
zur »Verwilderung und zum moralischen Verfall« vor
allem der männlichen Bevölkerung beigetragen habe.
Die slowenischen Kulturveranstaltungen standen bis
zur → Volksabstimmung im Zeichen der Agitation für
eine Vereinigung der Slowenen mit dem Königreich
→ Jugoslawien.
Nach der Volksabstimmung mussten sich die Slowe-
nen in Kärnten/Koroška erneut organisieren. Mit der
Staatsgrenze waren sie von den übrigen Slowenen im
Königreich Jugoslawien getrennt, die Beziehungen zu
den Slowenen im Rapallo-Italien waren spärlich, ob-
wohl die Zeitung → Koroški Slovenec häufig über ihr
schweres Schicksal unter dem Faschismus berichtete
(→ Beljaško omizje in →
Trieste/Trst/Triest). Rechtlich
orientierten sich die Kärntner Slowenen auf die Min-
derheitenbestimmungen des → Vertrages von Saint-
Germain. Eine große Zahl von Kärntner slowenischen
Intellektuellen musste das Land nach der Volksab-
stimmung verlassen, einige wurden sogar mit Gewalt
vertrieben (→
Vertreibung 1920). Das erste Jahr nach
der Volksabstimmung schien die Krščansko socialna
zveza za Koroško in der Öffentlichkeit praktisch nicht
auf. Mit der Erneuerung der Kulturarbeit begannen die
Bildungsvereine aus der Umgebung von → Bleiburg/
Pliberk am 20. Juli 1921 aktiv zu werden, es folgten
Rosentaler Vereine mit einem Treffen am 7. August in
St. Jakob i. R./Šentjakob v Rožu. Am 2. März 1922
wurde in Klagenfurt/Celovec der Verband Krščansko so-
cialna zveza za Koroško neu organisiert. Interimistisch
leitete kurz Kristo → Košir den Verband, bereits 1922
übernahm Janez → Sekol die Führung der Organi-
sation für die folgenden 12 Jahre. Die wesentlichen
Formen der Tätigkeit blieben die gleichen. Die Kärnt-
ner Slowenen erneuerten das Chorwesen, die Tam-
burizzamusik und das Laienschauspiel. Der Verband
setzte seine fachlichen Beratungen, um das umfassende
kulturelle Wirken zu vertiefen, fort. Die in der Kriegs-
und Volksabstimmungszeit erworbenen Kompetenzen
gaben die Frauen nicht mehr ab, doch verspürten sie
das Ansinnen der Leitung, ihnen spezifisch »weibliche«
Bereiche zuzuweisen. 1922 wurde die Krščanska ženska
zveza [Christlicher Frauenverband] gegründet. Diese
Orientierung förderte die politische Entwicklung im Staat, der eine ständische Organisation bzw. eine auto-
ritäre Staatsform ansteuerte.
Die Kärntner Slowenen mussten sich nach der
Volksabstimmung auch mit neuen Formen von Repres-
sionen und Gewalt auseinandersetzen. Die ersten Kul-
turveranstaltungen versuchten die Gegner gewaltsam
aufzulösen. Die Besucher wurden physisch angegriffen,
während die Behörden untätig waren. Das Präsidium
der Kärntner Landesregierung fühlte sich berufen, die
Texte der slowenischen Theaterstücke zu »zensurieren«
und »bestimmte« welche Chorstücke vorgetragen wer-
den durften sowie deren Reihenfolge. In der Republik
war die Zensur zwar abgeschafft worden, für die Kärnt-
ner Slowenen wurden sie von der Landesregierung neu
eingeführt, die auch die Bestände der Bibliotheken der
Bildungsvereine überprüfte. Offensichtlich war sie sich
der Ungeheuerlichkeit ihrer Tätigkeit nicht bewusst. So
»zensurierte« sie die slowenischen Übersetzungen der
Weltliteratur – es reichte nämlich, dass sie in Ljubljana
gedruckt wurden. Opfer der Zensur wurde auch der
österreichische Autor Ludwig Anzengruber mit sei-
nem Volksstück Der Meineidbauer. Die Zensur wurde
schrittweise entschärft, was Jahre danach die Behörden
des Ständestaates nicht daran hinderte, die Aufführung
des biblischen »Verlorenen Sohnes« zu verbieten, dem
sie »irredentistische Neigungen« unterstellten. Die slo-
wenischen Kulturveranstaltungen wurden untersagt,
wenn »Friede« in Gefahr war. Den Behörden reichte in
der Regel dabei eine Drohung der dörflichen Exponen-
ten von deutschnationalem (Nazi-)Gedankengut, um
slowenische Kulturveranstaltungen zu verbieten. Zu
Zeiten der Habsburgermonarchie erschwerte die Lan-
desregierung lediglich die Tätigkeit der slowenischen
Turnvereine, unabhängig davon, ob sie zu den Sokol-
oder Orel-Vereinen zuzuzählen waren. Sie verbot ihnen
wegen möglicher Friedensstörung öffentliche Auftritte
und das Tragen von Sokol- oder Orel-Abzeichen.
Auf der ersten Jahresmitgliederversammlung 1921
der noch nicht umorganisierten Krščanska socialna
Zveza za Koroško beteiligten sich 15 Vereine. Ein Jahr
danach waren 22 Vereine anwesend, 1925 waren es
insgesamt 38, im Jahr 1927 richtete der Verband die
Centralna knjižnica [Zentralbibliothek] ein und hatte
46 Mitgliedsvereine. Die Zahl der Mitgliedsvereine
erreichte das Vorkriegsniveau, wenn man bedenkt,
dass die Vereine aus dem → Kanaltal/Val Canale/Ka-
nalska dolina in Italien und aus der → Mešiška dolina
(Mießtal) im Königreich Jugoslawien verblieben waren
(→ Vereinswesen in Jugoslawien). Aus dem Vereinsre-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur