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Landesverfassung, Kärntner von 1849
Apih, Slovenci in 1848. leto
Verfassungen Kärntens
sollten (§ 83). Erlassen wurde die L. allerdings nach
Brauneder 2009 und Hoke 1992 unter Berufung
auf das interimistische Gesetzgebungsrecht des Kaisers
gemäß § 120 der Oktroyierten Märzverfassung, da die
verfassungsrechtlich vorgesehenen Gesetzgebungsor-
gane noch nicht vorhanden waren ; insgesamt wurde
die gleichlautenden Landesverfassungen nicht effektiv
und nicht vollzogen, wobei ihnen trotzdem eine ge-
wisse Bedeutung zukommt (Brauneder 2009, 131).
Bezeichnend für die Landesverfassung im formel-
len Sinn ist, dass sie, der Systematik der »Oktroyier-
ten« Märzverfassung entsprechend, ebenso oktroyiert
und nicht von einem Landesverfassungsgesetzgeber
des Landes erlassen wurde. Das entspricht durchaus
der historischen Systematik, zumal in der neueren ös-
terreichischen Verfassungsordnung »materielles Ver-
fassungsrecht der Länder« nach Brauneder »auch in
Gesetzen einer anderen Gebietskörperschaft, nämlich
des Bundes« zu finden (Brauneder 1979, 9) ist. Al-
lerdings meint Brauneder 2009 (S. 131) auch, dass
»[d]ie Bezeichnung ›Landesverfassung‹ täuscht : Wie
bisher handelt es sich lediglich um Landtags-Statute,
nicht um ›Konstitutionen‹ analog der des Gesamtstaa-
tes. Ihrem Wesen nach sind diese somit auf den Land-
tag bezogene Ausführungen und Ergänzungen der Ge-
samtverfassung.
Die [Oktroyierte März-(Anm.)]Verfassung 1849
hebt zwar die landständischen Verfassungen auf, die
neuen Landesverfassungen bringen aber keine allge-
meine Volksvertretung, sondern eine neuständische In-
teressenvertretung. Die Wahl der Landtagsmitglieder
erfolgt getrennt nach Kurien […].«
Dazu erläutert Brauneder 2009 das grundsätz-
liche Selbstverständnis der Länder in Bezug auf den
Gesamtstaat – und damit zum Wesen der Landes-
verfassungen (bzw. nach Brauneder oben eigentlich
Landtags-Statuten) selbst : »Selbst die Länder hatten
sich 1848 nicht als Staaten im Gesamtstaat, sondern als
Gebietskörperschaften minderen Ranges verstanden«
(S. 129). In der Folge wird in den Landesordnungen
von 1861 nach Brauneder 2009 (S. 149) »die strikte
Aberkennung jeder Staatlichkeit und die Einbeziehung
in die gesamtstaatliche Willensbildung viel deutlicher
gemacht als 1849«. Damit wird aber auch klar, dass die
L. formell wie auch materiell durchaus Raum für deren
rechtshistorische Analyse bietet, zumal insbesondere
in Kärnten/Koroška nationalitätenpolitisch relevante
Aspekte im öffentlichen Diskurs wenig zum Vorschein
kommen. Aus rechtshistorischer Sicht bemerkenswert ist zu-
dem, dass sich zwar in → Krain/Kranjska nach dem
Ende der Franzosenherrschaft die Notwendigkeit er-
gab, die abgeschafften ständischen Einrichtungen und
die ständische Verfassung wieder zu beleben. Im Falle
Kärntens aber, wo nur der Villacher Kreis (Oberkärn-
ten/Zgornja Koroška) an die → illyrischen Provinzen
gefallen war, waren diese ständischen Einrichtungen
nie zur Gänze abgeschafft worden. Daher blieb die von
Kaiser Leopold 1791 verfügte Landesordnung bis zur
Landesverfassung von 1849 im wesentlichen bestehen
(Dank für den Hinweis an Dr. W. Wadl).
Die L. umfasst 65 Paragrafen (VI Abschnitte) sowie
weitere 83 Paragrafen (10 Abschnitte) in der nachge-
reihten Landtagswahlordnung.
Relevant für die rechtliche Beurteilung der beiden
Sprachvarianten der L. ist die Bestimmung über die
Gleichberechtigung der Völker der Monarchie gemäß
§ 5 der Märzverfassung, wie sie auch in § 1 RuLGBlP
zum Ausdruck kommt : »Es wird … ein allgemeines
Reichsgesetz- und Verordnungsblatt in allen landes-
üblichen Sprachen ausgegeben werden … Die Texte
in den verschiedenen Sprachen sind gleich authen-
tisch. Den nicht deutschen Texten ist die deutsche Ue-
bersetzung [sic !] beizufügen.« I. V. m. § 3 der L. über
die Gleichberechtigung der »im Lande wohnenden
→ Volksstämme« ergibt sich die besondere Bedeutung
dieser Verfassung für die slowenische Rechtsgeschichte.
Gleichlautende Verfassungen werden auch für die
übrigen Kronländer kundgemacht, u. a. für die sloweni-
schen Kronländer →
Innerösterreichs : → Krain/Kran-
jska (RGBl. 9/1850, 30. Dezember 1849), Steiermark/
Štajerska (RGBl. 12/1850, 30. Dezember 1849), »für
die gefürstete Grafschaft Görz und Gradiska und die
Markgrafschaft Istrien/za pokneženo grofnijo Goriško
in Gradiškansko in mejno grofnijo Istrijansko« (RGBl
26/1850, 25. Jänner 1850) sowie für die »reichsunmit-
telbare Stadt Triest/ustava za neposredno mesto Tržaško«
(RGBl. 139/1850, 12.4.1850) (Letztere allerdings ohne
der Stipulierung der Gleichberechtigung der konstitu-
tiven Völker wie in § 3 oben).
Die L. stellt rechtshistorisch betrachtet einen Ent-
wicklungsschritt bei der Überwindung der dualistischen
Feudalordnung dar, da die vormaligen landständischen
Verfassungen durch § 77 Abs. 2 der oktroyierten März-
verfassung ausdrücklich außer Kraft gesetzt worden
waren. Nach Brauneder und Hoke waren sie jedoch
»keine eigentlichen Landesverfassungen, sondern bloße
Landtagsstatuten«. Sie spiegeln mit der Einrichtung
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur