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Levstik, Fran
Fran Levstik in Olomouc (Olmütz). Verleumdungen aus Ljubljana
führten zu seinem Ausschluss vom Studium. Er ging
danach nach Wien und besuchte mehrere Monate
lang philologische Vorlesungen bei Franz → Mik-
losich, musste aber aus finanziellen Gründen Wien
verlassen und war danach Hauslehrer bei den Familien
Pace in der Dolenjska (Unterkrain) und Vilhar in der
Notranjska (Innerkain). L. war 1861–1862 Sekretär der
Slavjanska čitavnica [Slawische Lesehalle] in → Trieste/
Trst/Triest, 1863 Redakteur von Vilhars politischer,
liberaler Zeitschrift Naprej [Vorwärts ], die nach der
78. Nummer wegen pressrechtlicher Prozesse und Vil-
hars Gefängnisstrafe eingestellt wurde. Danach, 1865,
wurde L. der erste Sekretär der → Slovenska matica
[Slowenische Gesellschaft für Wissenschaft und Kul-
tur]. Von 1866 bis 1868 war L. auf Empfehlung Franz
→
Miklosichs von Janez Zlatoust Pogačar mit der
Redaktion des slowenisch-deutschen Wörterbuchs be-
auftragt worden (Wolfov slovar). L.s Versuch, die phone-
tisch-phonologischen Gesetze des → Altkirchenslawi-
schen auf die slowenische Schriftsprache anzuwenden,
bewirkte eine unerwünschte Archaisierung der Sprache
und Verlangsamung der Arbeit am Wörterbuch und L.
wurde entlassen. Wegen ständiger Auseinandersetzun-
gen mit der politischen Elite in Ljubljana blieb L. ohne
Einkommen (er war ein Vertreter des jungslowenischen
Lagers, → mladoslovenci) und begab sich wieder nach
Wien, wo er die satirische Zeitschrift Pavliha heraus-
gab (30. April 1870–31. August 1870). 1871 trat ihm
Josip → Stritar die Arbeit bei der Übersetzung des
→
Reichsgesetzblattes ins Slowenische ab. L. hatte sich
um die ausgeschriebene Stelle eines Kustos der Lyze-
albibliothek in Ljubljana beworben, die aber Gottfried
muys erhielt, der sich vom damaligen galizischen Lem-
berg (heute L’viv) aus darum beworben hatte. Auf die
Intervention von Franz Miklosich hin nahm dieser
ihn 1872 als Skriptor auf (er blieb es bis zu seinem Tod).
L. musste muys versprechen, der Politik zu entsagen.
Doch aus dem Hintergrund beeinflusste er weiterhin
das öffentliche, vor allem literarische und sprachliche
Geschehen merkbar. Als Gründer und Funktionär na-
tionaler Organisationen (dramatischer Verein, Schrift-
stellerverein, Sokol [Turn- und Sportverein]) nahm er
sich zurück, sprachwissenschaftlich aber war er wei-
terhin tätig. Für das Vereinshandbuch des Sokol, Nauk
o telovadbi [Lehre vom Turnen], schrieb er 1867 die
Einleitung und erarbeitete die → Terminologie. In der
Sprachwissenschaft befasste er sich vor allem mit ter-
minologischen Themen, u. a. mit den Terminologien für Bienenzucht und Mathematik. Während seiner letz-
ten Lebensjahre war er krank. L.s erster Gedichtband
Pesmi [Gedichte] (1854) begeisterte seine Generation.
Die Pesmi verkörpern in ihrer Deskriptivität bereits die
Ansage des literarischen Realismus, den er in seinen
drei 1858 erschienenen literarisch-programmatischen
Schriften Napake slovenskega pisanja [Fehler beim Sch-
reiben in slowenischer Sprache], Popotovanje iz Litije do
Čateža [Wanderung von Litija nach Čatež] und Mar-
tin Krpan z Vrha [Martin Krpan aus Vrh] demonst-
rierte, und mit diesen Schriften verschaffte er sich in
der slowenischen literarischen Öffentlichkeit als Au-
torität Geltung. »Wegen seiner prinzipiellen, vor allem
nationalen Standpunkte« war L. in viele Konflikte und
Rechtsstreitigkeiten verwickelt. Später war L. mit Josip
→ Jurčičs Koautor der ersten slowenischen Tragödie
Tugomer (1876). Nach der kanonisierten Meinung der
slowenischen Literaturgeschichte wäre Jurčič in al-
lem L.s Schüler gewesen. Eine genauere Analyse zeigt
aber große konzeptionelle und sozioliterarische Unter-
schiede auf. Für den an Gottsched geschulten und
sachlich beobachtenden L. gab es keine slowenische
Oberschicht, die aber als Roman- oder Dramenstoff
unabdingbar gewesen wäre, sondern nur das Bäuerliche.
Daher brauchte es keine herrschaftliche Sprachetikette,
also sei nur eine mimetische Erzählung aus der bäuer-
lichen Welt möglich. Nach Jurčič aber könne es we-
der einen slowenischen Roman noch eine slowenische,
zeitgenössische europäische Dramatik ohne ein eigenes
slowenisches Bürgertum geben. Wenn es das Sloweni-
sche der Oberschicht als Voraussetzung für einen slo-
wenischen Roman oder ein slowenisches Drama nicht
gibt, muss sie eben in der Literatur geschaffen werden.
Doch kam es zwischen den beiden, abgesehen von
spontanen Reaktionen (L.s kritischer Brief an Jurčič
zum Roman Deseti brat 1868), zu keiner größeren Po-
lemik. Gegen Ende seines Lebens verfasste L. einen
Gedichtzyklus für Kinder Najdihojca [später Ciciban].
Im → Ljubljanski zvon publizierte L. eine umfangrei-
che Rezension zu Julij → Kleinmayrs Zgodovina slo-
venskega slovstva (1881) [Geschichte der slowenischen
Literatur], die man als eigene Geschichte der sloweni-
schen Literatur werten kann.
L.s erste Kontakte mit Klagenfurt/Celovec be-
ginnen in den 50er-Jahren des 19. Jh.s. Er begleitete
den →
Šolski prijatel [Schulfreund], aus welchem er
später u. a. ein Gedicht von Josef →
Stefan nach-
dichtete. 1855 führte er bereits Gespräche mit Anton
→ Janežič, der den Druck von L.s Übersetzung des
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur