Page - 904 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
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Miklosich, Franz Xaver Ritter von
Ćiči, Čičen, Mavrovlahi, Morlaci, Morlaken bekannt),
die im 19. Jh. zum Teil im Balkanraum noch noma-
disierten, zum Teil aber bereits sesshaft waren (Maze-
donien, Istrien). Auch ihre Sprache und Kultur waren
Gegenstand von M.s Erforschung der sprachlichen In-
terferenzen der Balkansprachen.
Auch das Albanische erfuhr erstmals eine wissen-
schaftliche Aufmerksamkeit. M. erforscht die Sprache
und Kultur der Albaner (auch unter der Bezeichnung
Albanezi, Arbanasi, Arnauti, Klementinci/Klementiner,
Klement) im Balkanraum an verschiedenen Standor-
ten (Dalmatien, Slawonien), an denen sie aufgrund von
Migrationen siedelten.
M. gehört damit zu jenen Grundlagenforschern, die
die modernen Grundsteine für eine Wissenschaft des
Respekts für die kulturelle Pluralität und Vielfalt in
Europa gelegt haben.
Ein zentrales Thema für die Affirmierung der sla-
wischen Sprachen jener Zeit (→ Kopitar → Do-
browsky, → Šafařík, → Vostokov, → Srez-
nevskij) war die Erforschung der ältesten slawischen
(→ Altslovenisch) Schriftdenkmäler in glagolitischer
(→ Glagolica), kyrillischer und lateinischer (→ Frei-
singer Denkmäler) →
Schrift. Dazu hat M. eine Reihe
von Abhandlungen für die Denkschriften der kaiserli-
chen Akademie der Wissenschaften verfasst. In seiner
Neubearbeitung Formenlehre der altslovenischen Sprache
in Paradigmen 1874 nimmt er von Kopitars → pan-
nonischer Theorie Abstand (S. XXXII : »Kopitar scheint
die sprache der pannonischen und karantanischen slovenen
für identisch gehalten zu haben, was ich jetzt nicht billige.«
Diesen eigenständigen Schritt M. auf dem Wege zu
neuen Forschungserkenntnissen hat V. Jagić nach M.s
Tod konsequent geleugnet (Sturm-Schnabl : Ak-
tualnost Miklošičevega znanstvenega dela in misli, 2004,
33 f.) (→ Altkirchenslawisch). In seiner Abhandlung
Die christliche Terminologie der slavischen Sprachen begibt
M. sich auf die Spuren der karantanisch-ladinischen
Lexik im Altkirchenslawischen (Altslovenischen, Alt-
bulgarischen) (→ Karantanerslowenisch, → Altladi-
nisch), was allein schon eine vertikal verstandene Her-
kunft des Altkirchenslawischen ausschließt.
Um das notwendige sprachliche Forschungsma-
terial durch die Identifikation, zeitliche Einordnung
und durch Editionen der einschlägigen Handschrif-
ten, sei es, dass er diese selbst vornahm (Codex Sup-
rasliensis 1851, Apostollus e codice monasterii Šišatovac
1853, s. Mathaei palaeoslovenice e codicibus 1856), sei es,
dass er andere dazu anregte und sie dabei beriet (z. B. Ivan Črnčič : Assemanianus, Vatroslav Jagić : Zograph
Evangelium, → Kiewer Blätter).
Wissenschaftlich relevant blieben bis heute seine
zwei großen lexikografischen Œuvres, das Lexicon pa-
laeoslovenico graeco latinum und sein Etymologisches Wör-
terbuch der slavischen Sprachen.
Nachdem M. die Professur für die slawischen Spra-
chen an der Universität Wien übernommen hatte,
setzte er seine politischen Anliegen als Slowene und
Slawe dahin gehend um, dass er seine Lehr- und For-
schungstätigkeit gesellschaftsrelevant ausrichtete. Als
Professor der slawischen Sprachen bildete M. slawische
Studenten aus allen Teilen der Habsburgermonarchie
zu Gymnasiallehrern aus und war zudem 25 Jahre der
Vorsitzende der Lehramtsprüfungskommission. Die
meisten von ihnen bildeten später an ihren Berufsorten
das Netzwerk seiner Informanten, das sich M. aufge-
baut hatte, um jeweils authentisches Sprachmaterial
zu erhalten. Er arbeitete auch mit den kroatischen,
serbischen, tschechischen, slowakischen ukrainischen,
russischen Kollegen eng zusammen (Đura Daničić,
Franjo Rački, Josip Juraj Strossmayr, Vatroslav
Jagić, Baltasar Bogišić, Stojan Novaković, Petar
Petrović Njegoš, Pavol J. Šafařík, I. I. → Srez-
nevskij u. v. a.). M.s Vergleichende Grammatik der sla-
vischen Sprachen hatte eine gesellschaftspolitisch höchst
relevante Funktion für die Affirmierung der jeweils
eigenen Sprache für alle slawischen Völker (sie wurde
auch ins Russische übersetzt), vor allem für jene, die im
Rahmen der Habsburgermonarchie lebten, sie war aber
auch die Grundlage dafür, dass er 1858 in einer Rede
vor einer Versammlung deutscher Philologen, Schulmän-
ner und Orientalisten als Erster klar und deutlich neben
der klassischen, deutschen und romanischen Philologie
auch eine slawische Philologie einforderte. Das Lexicon
palae-slovenico-graeco latinum und das etymologische
Wörterbuch sind bis heute für die Slawistik relevant
geblieben. Als ausgezeichneter Graezist hat M. auch
für die Byzantinistik ungewöhnliche Verdienste durch
die große sechsbändige Edition des Patriarchatsregis-
ters von Konstantinopel (Acta et diplomata medii aevi
…), die er zusammen mit Joseph Müller erarbeitet
hatte, es war dies die Editio princeps mit ca. 700 Ur-
kunden im Druck sowie deren Kollationierung. Erst in
den 80er-Jahren des 20. Jh.s begann eine neue Ausgabe
durch die Wiener Byzantinistik zu erscheinen, die noch
nicht abgeschlossen ist. Auch M.s Edition der mittelal-
terlichen serbischen Urkunden (Monumenta serbica …),
liefert durch ihr Textmaterial nach wie vor interessante
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur