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Militärgerichte im Ersten Weltkrieg
Štajerska, Kärnten/Koroška, Küstenland/Litorale/Pri-
morje – RGB1. 133/1915). Ohne besondere Kund-
machung traten in den slowenischen Ländern die
für Kriegsgebiete relevanten Bestimmungen in Kraft,
wonach die Militärbehörden Schnellgerichte auch für
Straftaten von Zivilpersonen einrichten konnten. Die
Erklärung der slowenischen Länder zu militärischem
Operationsgebiet brachte der betroffenen Bevölkerung
zahlreiche Probleme. Deshalb wurde nach dem Durch-
bruch der Front an der Soča (Isonzo) bei Kobarid
(Karfreit) und deren Verlegung an die Piave aus allen
diesen Ländern immer öfters die Forderung laut, das
Kriegsrecht aufzuheben. Dabei zeigte sich, dass die Be-
hörden die deutsch besiedelten Gebiete anders als die
anderssprachigen Gebiete behandelten. So wurde das
Kriegsrecht im deutschsprachigen Teil der Steiermark/
Štajerska abgeschafft, während es im slowenischen Teil
noch weiterhin in Kraft war.
Die Zuständigkeit der militärischen Schnellgerichte
für Zivilpersonen war auch deshalb so schwerwiegend,
weil das militärische Oberkommando am 20. Novem-
ber 1914 zusätzlich jene Bestimmung aufhob, wonach
derartige Angelegenheiten entweder innerhalb von
drei Tagen entschieden werden sollten, anderenfalls sie
der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu übergeben seien.
Damit hatten die Militärgerichte die Möglichkeit,
einzelne Angelegenheiten auch über ein Jahr lang zu
verschleppen. Wenn die Schuld des Beschuldigten als
»bewiesen« galt, wurde das Verfahren mit einer Verur-
teilung zum Tode beendet und das Urteil unmittelbar
vollstreckt. Es war kein Recht auf Begnadigung vorge-
sehen. Die Verordnung, die die zeitliche Beschränkung
der militärischen Schnellgerichte aufhob, wurde ihrer-
seits vom Oberkommando erst im April 1917 aufge-
hoben.
Der sog. Kriegsabsolutismus hatte auch deshalb ne-
gative Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, weil die
Militärbehörden ohne Zögern selbst auf der Grund-
lage von anonymen Anzeigen handelten. Diese waren
ab dem Beginn des Krieges insbesondere in zwei- oder
mehrsprachigen Kronländern wie der Steiermark/
Štajerska und Kärnten/Koroška zahlreich, wo bereits
seit Mitte des 19. Jh.s der Antagonismus zwischen
den Volksgruppen immer stärker geworden war. Mit
dem Beginn des Ersten Weltkrieges, als die deutsche
Seite von den Slowenen eine Unterlassung der politi-
schen Tätigkeit und eine völlige Unterordnung unter
das Deutschtum forderte, wurde die Beifügung »slowe-
nisch« in der Rezeption der Mehrzahl der deutschspra- chigen Bürger zum Synonym von Illoyalität. In dieser
chaotischen Zeit interpretierten die Behörden den Be-
griff unloyal und politisch unzuverlässig auf willkürliche
Weise. Deshalb wurden unschuldige Handlungen in
zahlreichen Fällen als strafbar interpretiert. Der Ein-
zelne konnte bereits wegen des Lesens einer slowe-
nischen Zeitung verdächtigt werden. Die Anzahl der
Anzeigen zwangen die Behörden im Jahr 1916 dazu,
die Praxis der anonymen Anzeigen einzuschränken. Es
ermöglichte zwar weiterhin die Berücksichtigung und
Eröffnung von Verfahren auf der Grundlage von ano-
nymen Anzeigen, jedoch nur wenn konkrete Hinweise
vorlagen. Anonyme Anzeigen allgemeiner Natur ohne
konkrete Angaben mussten die Schnellgerichte nicht
berücksichtigen.
Obwohl das System des militärischen Absolutis-
mus gegen alle Staatsbürger gerichtet war, waren in
zwei- oder mehrsprachigen Kronländern wie Steier-
mark/Štajerska, Kärnten/Koroška und Küstenland/Li-
torale/Primorje vor allem Slowenen betroffen. So war
es etwa jedes »heimattreuen Kärntners« Pflicht, den
Behörden alles zur Anzeige zu bringen, was ihm als
»serbenfreundlich« oder als »Hochverrat« erschien. Da
die Behörden in den Kriegsverhältnissen die Gelegen-
heit sahen, endgültig jedwede eigenständige sloweni-
sche politische Bewegung zu unterbinden, folgten den
Anzeigen Hausdurchsuchungen, in zahlreichen Fällen
auch Festnahmen und Gerichtsverfahren. Auch wenn
die betreffende Person nicht verurteilt wurde, wurde sie
als politisch verdächtig (PV) in Evidenz genommen und
unter strenge Kontrolle gestellt. So wurde etwa bereits
am 3. September 1914 der Vorsitzende des → Katoliško
politično in gospodarsko društvo Janko → Brejc als ein
führender Vertreter der slowenischen politischen Elite
festgenommen, doch musste er aus Mangel an Bewei-
sen noch am selben Tag freigelassen werden. Eine erste
Darstellung der Verfolgungen, der die slowenische Be-
völkerung seitens der zivilen und militärischen Behör-
den ausgesetzt war, gab der Südslawische Klub (Jugos-
lovanski klub) in seiner parlamentarischen Anfrage am
15. Juni 1917. Darin wird angeführt, dass die Hetzcam-
pagne gegen die Slowenen planmäßig war und dass die
slowenischen Länder als feindliches Gebiet behandelt
wurden. Als wichtigste Formen der Verfolgung wur-
den in der parlamentarischen Anfrage die erwähnten
Festnahmen auf der Grundlage von ungerechtfertigten
Verdächtigungen, Verurteilungen, Konfinierungen und
Internierungen angeführt (→
Internierungen 1919).
In der parlamentarischen Anfrage des Südslawischen
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur