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Militärgerichte im Ersten Weltkrieg
Klubs ist hinsichtlich Kärnten/Koroška von einer »gro-
ßen Zahl« von Festnahmen und zahlreichen Schikanie-
rungen, vor allem Verhören und Hausdurchsuchungen,
die Rede. Gar 40 % der slowenischen Priester in Kärn-
ten/Koroška sowie die Mehrzahl angesehener Personen
des weltlichen öffentlichen Lebens wurden während
des Krieges entweder festgenommen oder hatten auf-
grund von nicht fundierten Anzeigen mit dem Militär
oder den Untersuchungskommissionen zu tun. Gleich-
zeitig wird auch betont, dass dabei die »Festnahmen
von Bauern und Bäuerinnen, von Mägden und Knech-
ten« nicht berücksichtigt seien.
Wegen der Verfolgung der Kärntner Slowenen wäh-
rend des Ersten Weltkrieges und bereits in den Jahren
davor forderte der Südslawische Klub in einer parla-
mentarischen Anfrage zu diesen Ereignissen in Kärn-
ten/Koroška, dass diese von einer »nicht-kärntneri-
schen Kommission streng geprüft werden sollten, die
vom Reichsrat oder von der Regierung einzurichten
sei«. Diese Ereignisse wurden später von einer militäri-
schen und einer Regierungskommission geprüft, deren
Einrichtung Minister ohne Portefeuille und identitäts-
bewussten Slowenen wie Ivan → Žolger gefordert
hatten. Die Ergebnisse der Kommissionen waren ver-
heerend für die österreichisch-ungarischen politischen
und militärischen Behörden.
Aus den Berichten der Kommissionen geht hervor,
dass die verfolgten Priester hauptsächlich verdächtigt
wurden, serbische bzw. slawische Propaganda zu ver-
breiten. So wurde der pensionierte Priester von Schief-
ling/Škofiče, Jožef Svatona, vom Divisionsgericht
der Landwehr in Graz im Oktober 1914 zu einem
Jahr Gefängnishaft verurteilt, Anton Šturm, Priester
in Egg bei Hermagor/Brdo pri Šmohorju, wurde vom
Militärgericht in Klagenfurt/Celovec im April 1918 zu
18 Jahren Kerkerhaft verurteilt, weil er behauptete, dass
für den Krieg nicht Serbien, sondern Österreich die
Schuld trage. Dasselbe Gericht verurteilte im Oktober
1916 den Priester Ivan Volavčnik zu 15 Monaten ver-
schärfter Haft, weil er bei der Kaisermesse den Altar
vor dem Kaiserlied demonstrativ verlassen hatte. Ivan
→
Brabenec wurde am 10. Juli 1915 verhaftet und am
6. September 1915 zu einer verschärften Kerkerstrafe
von 6 Monaten verurteilt.
Mehrere Priester wurden auch der Spionage für
feindliche Kräfte angeklagt, wie etwa Jurij → Trunk
von der Stadtpfarre Heiligenkreuz/Sv. Križ in der Vil-
lacher Vorstadt Perau/Perava, Franc → Meško aus
der Pfarre → Maria Gail/Marija na Zilji sowie Ma- tej → Ražun aus St. Jakob im Rosental/Šentjakob v
Rožu. So wurde etwa Trunk auf der Grundlage einer
Anzeige eines seiner Pfarrmitglieder verdächtigt, »vom
Kirchturm Zeichen an die Italiener zu senden«. Die
Mehrzahl der verdächtigten Priester wurde nach einer
mehrwöchigen bis mehrmonatigen Untersuchungshaft
wieder aus der Haft entlassen. Obwohl ihnen die Be-
hörden keine Schuld nachweisen konnten, wurden sie
von der kirchlichen Obrigkeit versetzt. So wurden etwa
Trunk nach Jezersko (Seeland) und Meško nach Črna
(Schwarzenbach) versetzt. Der Spionage für die Italie-
ner wurde auch der Mesner aus Trunks Pfarre, Miha
Grafenauer, beschuldigt, dem aber die Behörden
keine Schuld nachweisen konnten.
Neben den erwähnten Priestern wurden auch zahl-
reiche Zivilisten festgenommen. Die Höchststrafe
erhielt der ehemalige → Bürgermeister von Kött-
mannsdorf/Kotmara vas Matej → Prosekar, den das
Gericht des 10. Armeekorps im September 1916 zum
Tod durch Erschießung verurteilte, weil er gegen die
Abgabe von Weizen agitiert haben soll. Später wurde
seine Strafe auf 10 Monate verschärfte Haft herabge-
setzt. Im Dezember 1916 wurde auch der ehemalige
Gemeindesekretär von Globasnitz/Globasnica Franc
Čebul zu einem Jahr verschärfter Haft verurteilt, weil
er »mit russischen Militärgefangenen sympathisierte«.
Wegen Herabwürdigung des Staates wurde auch der
Lehrer Josef → Jekl aus Abtei/Apače im → Jauntal/
Podjuna für ca. einen Monat festgehalten.
Das bekannteste Beispiel war die Verurteilung des
Reichsratsabgeordneten Franc → Grafenauer, der
im Mai 1916 zu fünf Jahren verschärfter Haft verur-
teilt worden war. Mit seinen Aussagen, dass »Russland
eine Großmacht« sei, die »mehr Weizen« habe, dass
ein Reservist zu den Italienern geflüchtet sei, »weil dort
die Erde besser sei«, und »dass es nichts Besonderes sei,
wenn ein Mädchen einen Russen« habe, habe er nach
Ansicht des Gerichts Österreich-Ungarn herabgewür-
digt und die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört.
Obwohl Grafenauer nach der Generalamnestie im
Sommer 1917 aus der Haft entlassen wurde, wurde
ihm sein Reichsratsmandat nicht mehr zuerkannt und
sein Platz im Reichsrat blieb bis zum Ende des Ersten
Weltkriegs unbesetzt.
Wegen der dargestellten Verfolgungen und der allge-
mein schwierigen Situation der Kärntner Slowenen in
den ersten Kriegsjahren ist es nicht verwunderlich, dass
die kärntnerslowenischen Politiker zu den ersten Un-
terstützern der staatsrechtlichen Verselbstständigung
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur