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Personalitätsprinzip (Dualismus der Rechtsordnungen)
Gegensatz zum Territorialitätsprinzip und ist Ausdruck
befriedender Toleranz, zumal »[d]er fremde [Rechts-,
Anm.] Verband und seine Rechtsvorstellungen geachtet
werden, die eigenen niemandem aufgezwungen«. Das
P. ist römischen Ursprungs und minimierte die Zahl
notwendiger Kollisionsnormen. Sicher ist nach Sturm
weiters auch, dass das P. bereits im Karolingerreich galt
und dass es sich bei den Langobarden bereits vor der
fränkischen Eroberung durchgesetzt hatte. Einen ent-
scheidenden Einfluss für die Tradierung des P. hatte die
Kirche, die so ihre interessen besser gegen germanische
Eindringlinge zu schützen vermochte. Mit der Festi-
gung territorialer Strukturen und sozialen Prozessen
der Vermischung verfiel das P., hatte jedoch Nachwir-
kungen und »lebt in gewissen Maß im Personalstatut
und in der [Mittelalter] und Neuzeit beherrschenden
Diskussion um Inhalt und Grenzen von statum perso-
nale, reale und mixtum fort.«
Die frühmittelalterliche Rechts- und Gesellschafts-
ordnung beruhte nach Baltl/Kocher auf dem zeit-
lichen und räumlichen Nebeneinander verschiedener
politischer und gesellschaftlicher Systeme. Demnach
lebten in einem im weitesten Sinne ethnisch vielfälti-
gen Alpenraum die Angehörigen verschiedener (eth-
nischer und sozialer) Gruppen aufgrund des Persona-
litätsprinzips bzw. aufgrund der persönlichen Bindung
nach dem jeweiligen Rechtssystem ihrer Gemeinschaft :
die verbleibende romanische Bevölkerung (→ Walchen,
→ Altladinisch) nach dem spätantiken Vulgarrecht, die
Kleriker zusätzlich nach dem »sich formierenden ei-
gentlichen Kirchenrecht«. Die »Germanen lebten nach
germanischem, speziell also langobardischem, bairi-
schem und alemannischem Recht«, während »[i]m sla-
wischen Siedlungsgebiet […] slawisches Stammesrecht
[bestand]« (→
Slawen).
Für Baltl/Kocher steht zudem außer Zweifel,
»[d]ass es ein karantanisch-slowenisches [sic !] Stam-
mesrecht in der Zeit vom 7. bis 11. Jh. gegeben hat«.
Fraglich sei nur, ob dieses Recht kodifiziert wurde, da
keine unmittelbaren schriftlichen → Quellen, wohl
aber deutliche Bezugnahmen auf karantanisch-slowe-
nische → Rechtsinstitutionen erhalten geblieben sind
(→ St. Georgen am Längssee [Šentjurij ob Dolgem
jezeru], → Edlingerdienste, →
Edlingergerichtsbar-
keit). Folglich habe im karantanischen Raum eine sog.
»dualistische Rechtsordnung« geherrscht, »da das bai-
rische Recht [nur, Anm. d. A.] für die bajuwarischen
[sic !] Siedler gültig war«. (→ Bagoaria) Ein Zustand,
der auch in anderen Gebieten in dieser Zeit vorzufin- den war. In der Folge habe dieser Dualismus oder gar
Trialismus der Rechtsordnungen (gleichzeitige Geltung
mehrerer Rechtsordnungen) zur Herausbildung der
einzelnen Landrechte beigetragen.
Personalitätsprinzip und Dualismus der Rechtsord-
nungen geben ein plausibles Erklärungsmodell für die
rechtliche → Kontinuität der karantanisch-sloweni-
schen Rechtsinstitutionen, und zwar Jahrhunderte nach
der Annahme des Vasallentums → Karantaniens und
der → Christianisierung des Landes. Die Beibehaltung
insbesondere der → Fürsteneinsetzung als archaisches
Relikt einer vorstaatlichen (stammesrechtlichen) Ge-
sellschaftsordnung seit der karantanischen Frühzeit be-
stätigt zudem im Lichte des Personalitätsprinzips und
der dualen Rechtsordnung die staatsrechtliche Identität
des Landes (ev. sogar in einer ersten Phase das Primat
der karantanischen Rechtsordnung) im Rahmen eines
größeren feudalen Gefüges, und zwar trotz oder gerade
angesichts der Einsetzung bzw. Belehnung von nicht
originär einheimischen → Herzögen (→ Landesspra-
che ; → Identität, territoriale).
Personalitätsprinzip und Dualismus der Rechtsord-
nungen geben ein Erklärungsmodell auch für den Fort-
bestand des ursprünglich karantanischen, in der Folge
slowenischen Standes der kosezi (die → Freisinger
Denkmäler sind bereits eindeutig dem Slowenischen
zuzuschreiben, die Herzogseinsetzung, wie sie 1286
von → Johann von Viktring beschrieben wurde,
fand in historisch als → »windisch« bezeichneter, also
slowenischer Sprache statt) (→ Edlinger, → Ethnoge-
nese, → Karantanerslowenisch). Der Stand der kosezi
musste aus fränkischer feudalrechtlicher Sicht aufgrund
des Personalitätsprinzips sowie aufgrund des darauf be-
gründeten Privilegs der Herzogswahl und der Wehr-
pflichten der kosezi/Edlinger als Feudalstand, wenn
auch sui generis, angesehen werden. Das heißt, dass
die kosezi als eigenständiger Stand von Edelmännern
betrachtet wurden. Die rechtliche Begründung gibt
auch ein Erklärungsmodell für die von Grafenauer,
Wadl u. a. anerkannte historische Genealogie von den
kosezi hin zu den → Edlingern im Hochmittelalter.
Das Personalitätsprinzip erklärt auch, warum einerseits
die Ethnie nicht per se als determinierende Kategorie
der kosezi/Edlinger fungierte (wie dies Wadl rich-
tigerweise darstellt), sondern der soziale Stand (was
den Fortbestand ihrer spezifischen Privilegien erklärt,
so die eigenständige niedere Gerichtsbarkeit und die
verminderten Abgaben) (vgl. → Edlinger-Dienste,
→ Edlinger-Gerichtsbarkeit, → Edlinger-Gemein-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 2 : J – Pl
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 502
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur