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bestrebungeu lebten nicht nur die ungarische Politik, sondern auch die ungarische Vergangen-
heit, das ungarische Gefühl wieder aus. Die ungarische Tracht und die ungarische Sprache
kamen im öffentlichen Leben wieder in Mode, und als ob die Regierung Karls uud Maria
Theresias gar nicht dazwischen gelegen wäre, erdröhnten wieder die Tärogatös (Kriegs-
hörner), erklang die Räköezy-Weise, aus welcher die neuere Zeit den berühmten Marsch
componirte, und wieder tauchte, mit einigem französischen Flimmer des XVIII. Jahr-
hunderts, der Kurutzeugeist auf, welcher durch den Szathmärer Frieden anscheinend zu
Grabe getragen worden war. Es verlautete selbst, daß der Faden der Erbfolge abgerissen
sei, daß infolge der gesetzwidrigen Regierungsweise Josefs II. die Dynastie ihre Rechte
auf die ungarische Krone verwirkt habe und man einen ueuen Wahlreichstag auf den Räkos
znsammeuberusen müsse. Selbst die Armee begann zu Politisiren, und bei den gegen die
Türken zu Felde liegenden ungarischen Truppen, bei deu Infanterie-Regimentern Nadasdy,
Splenyi, Kärolyi, Pälffy (jetzt Nr. 39, 51, 52, 53) und mehreren Reiter-Regimentern,
darunter die Gräven-Hufaren (heute Nr. 4), wurden Petitionen verfaßt, in welchen für die
ungarischen Regimenter ungarische Osficiere und ungarisches Commando verlangt wurden.
Leopold II., Josefs II. jüngerer Bruder und Nachfolger, wurde durch alles dies nicht
aus der Fassung gebracht. Auch er bekannte sich zu den freisinnigen Ideen seines Bruders;
auch er hatte in Toscana neue Principien ins Leben eingeführt, er wußte aber auch, daß
Dasjenige, was nur die Frucht einer langen Entwicklung ist, sich nicht erzwingen läßt,
und er stellte sich vollständig auf den Standpunkt seiner Mutter. Er aeceptirte offen und
aufrichtig die ungarische Verfassung. Da er die ungarische Nation kannte, schrak er nicht
vor einigen Ausbrüchen der Exaltation zurück und berief sofort den Reichstag, uud zwar
nach Ofen, welches seit den Tagen des Königs Johann die Reichsstände nicht in seinen
Mauern gesehen hatte.
Der Reichstag wurde am 10. Juni 1790 in der Ofener Festung unter großer Theil-
nahme und Begeisterung eröffnet. Ofen und Pest waren voll von bewaffneten Edelleuten,
Bauderieu, welche die Abgeordneten ihrer Eomitate hinaufbegleiteten oder zum Empfang
der Krone gesandt wurden. Die Jugend, die Frauen, denen es auf ihre Bitte zum ersten
Male gestattet wurde, in den Sälen der Gesetzgebung anwesend sein zn dürfen, drängten
sich zu den Versammlungen. Die Berathungen begannen in ungarischer Sprache. Der
Personal Josef Ürmenyi sprach an der unteren, der Primas Cardinal Batthyäny an der
oberen Tafel ungarisch. Und die ganze untere Tafel, mehr als die Hälfte der oberen Stände,
darunter der 5uäex curiae Graf KarlZichy, der Taverniens Peter Vegh, der Gardeeapitän
Graf Anton Kärolyi, mehrere andere Reichsbarone, die Kronhüter Keglevich und Nadasdy,
ein Appouyi, Eszterhazy, Graf Franz Szichenyi, Batthyäny, Erdödy, Csäky, Graf
Andrässy, Baron Sennyei, die Forgach, Szapäry, Festetich schwuren in öffentlicher
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Volume 5
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Volume
- 5
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.41 x 22.5 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch