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XVIII. Jahrhunderts mit vollem Herzeil huldigte. Ihre Anhänger billigten zumeist,
wenn auch nicht in Allem, die Ideen Josefs II. uud gingen in maucheu Dingen sogar
über dieselben hiuaus. Die überraschende Entwicklung und der Erfolg, welchen diese Ideen
in Frankreich errangen, die Leichtigkeit, mit der die älteste Monarchie der Christenheit,
der älteste Staatsorganismns zu dieser Zeit von Grnnd aus umgestürzt wurde, flößte
deu Anhängern dieser Ideen Muth uud die Hoffnung ein, daß derselbe Erfolg anch ander-
wärts, auch in Ungarn eintreten werde. Zu dieser Partei gehörte der aus Pest gebürtige
uoch nicht vierzigjährige Jgnaz Martinovich, der Anfangs Franeiseaner, dann Welt-
priester, unter Joses II. Professor in Lemberg, später unter Leopold II. Hofchemiker war
und in dessen Auftrage im Interesse der neuen liberalen Ideen gegen einige veraltete
Richtungen der 1790er Reaction Brochnren schrieb. Nach dem Tode des Kaisers kam er
jedoch in seiner Carriere nicht mehr so vorwärts, wie er es beanspruchen zu dürfen glaubte.
Ju seiner Verbitterung neigte er sich noch mehr den revolutionären Ideen zu, zu welchen
ihn seine Gefühle und seine Überzeugung ohnedies hinzogen. Er wußte sich am Ende des
Jahres 1793 mit der französischen Republik in Verbindung zu setzen, gegen welche der
König von Ungarn und die ungarischen Trnppen schon seit 1792 einen schweren Krieg
führten. Sein Plan war, in Ungarn eine Revolution hervorzurufen, und er gründete, um
diese vorzubereiteu, zwei geheime Gesellschaften zur Verbreitung der französischen Ideen,
deren Grundsätze er in zwei Katechismen niederlegte. Die „Gesellschaft der Reformatoren"
war für die beschränktere Auffassung des ungarischen Adels berechnet und plante eine
Republik mit einer aristokratischen Verfassung. Die „Gesellschaft der Freiheit nnd Gleich-
heit", zu welcher Martinovich selbst und seine intimsten Anhänger gehörten, steckte sich
bereits die Verwirklichung der reinen französischen Jakobiner-Republik zum Ziele und wäre
erst dann aufgetreten, wenn die Reformatoren, ohne es zu ahnen, ihr schon den Weg dazu
geebnet hätten. In Wien, wo Martinovich zu jener Zeit sich aufhielt, schmiedete mau
Pläne ähnlichen Zweckes. Die Regierung wurde hierauf von Seiten des Auslandes
aufmerksam gemacht und ließ die Verdächtigen, darunter auch Martinovich, verhaften (am
23. Juni 1794). Auf feiu Gestäuduiß hin wurden Graf Jakob Sigray, ein talentvoller aber
charakterschwacher Eavalier, den Martinovich zum Direktor der Reformatorengesellschaft
designirt hatte, sowie die drei Direktoren der anderen Gesellschaft: Josef Hajnöezy,
Secretär der ungarischen Kammer, unter Josef II. ernannter Vicegespan von Syrmien,
Johann Laezkovics, quittirter Husarenrittmeister, der im Jahre 1790 die Petition der
Gräven-Hnsaren in Gesellschaft des Oberstlieutenants Grafen Georg Festetich vor den
Reichstag gebracht hatte, sowie der junge Franz Szentmarjai, Privatsecretär des Kammer-
vicepräsidenten Baron Ladislaus Orczy, verhaftet. Die Geständnisse der in Haft
Genommenen gaben der Untersuchung neue Fädeu i» die Haud. Gegeu Ende des Jahres
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, Ungarn (1), Volume 5
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, Ungarn (1)
- Volume
- 5
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.41 x 22.5 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch