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entwickelt sich zwischen den „Liebenden" ein zartes, sittsames Verhältniß. Gelegenheit,
eine Bekanntschaft zu machen und sie zu befestigen, bietet der Spielplatz, der grüne Anger,
die Spiuustube, das Weinhüten, die Ernte, das „Kukuruzschleißen"; das ist eine Art
öffentliches Geheimniß, die Eltern haben nichts dagegen. Die Treue ist bei einem solchen
Verhältniß unverbrüchlich; ruhig kommt der Bursche seiner Militärpflicht nach uud
schreibt nie einen Brief an seine Eltern, ohne sein Mädchen „mit viel guter Gesnudheit"
grüßen zu laffeu, und ebenso getreu harrt diese der Heimkehr des Liebsten.
Die Bursche aus der Taglöhuerelasse haben wohl auch ein Herz, aber diesem schreibt
das Leben strengere Gesetze vor und sie würden es für leichtsinnig halten, sich früh zn
versprechen. Sie müssen sich erst allerlei Schnickschnack zusammensparen, einiges Kleingeld
auf Heiratskosten, einen Lodenmantel für den Sonntag und einen für den Werktag;
dann erst wagen sie es, ein Wörtlein mit einer Person ihres Schlages zu reden, nnd wenn
dieses Wort einen guten Ort findet, stellt sich die Dirne neben den Burschen als sei«
Gespan uud sie eruten zusammen. In den Erntelohn theilen sie sich zwar nach gewohntem
Verhältniß, aber sie haben ihn doch gemeinsam verdient und es ist klar, daß das nur mit
einer Hochzeit enden kann.
Ein Verhältniß, das in solcher Weise schon offenkundig geworden, wird bei Reich und
Arm äußerst selten gelöst. Zu den selteneren Fällen gehört es auch, uud meist ist dann
Rache oder Elternstolz schuld darau, daß der Bursche sich sein Weibchen aus einer anderen
Ortschaft bringt; er muß aber auch gehörig dafür büßen, aus diese oder jene Art, besonders
wenn er sich ein berühmtes Mädchen geholt hat. Und auch das berühmte Mädchen mag
sich ordentlich zusammennehmen, um in der neuen Heimat aller Kritik gewachsen zu sein,
denn wenn ihr Gesicht oder Wuchs, ihre Haltung oder Mitgift nicht gefällt, kriegt sie leicht
zu hören: „Um die war's auch schade, so viel Pferde einzuspannen." Nicht minder selten
kommt es vor, daß jüngere Geschwister, besonders Mädchen, vor den älteren heiraten.
Das ist ans der ganzen Welt so eingerichtet, seit Erzvater Jakobs Zeit, und der Ungar hat
dafür das Gleichniß: „Das weiche Brod wird nicht angeschnitten, ehe das harte alle ist."
Das ungarische Volk nennt ein heiratsfähiges Mädchen im ganzen Lande „ver-
käuflich" (elacko) und den Bräutigam den „kaufenden Mann" (völe^ny — vevö le»en^).
Diese Ausdrücke erklären sich dadurch, daß man die Mädchen ursprünglich nicht umsonst
bekam, wie es denn auch jetzt noch Gegenden gibt, zum Beispiel in Baranya und im
Ormänsäg, wo die Mädchen hoch im Preise stehen. Gewöhnlich bezahlt man 40 bis
60 Gulden; ist aber das Mädchen besonders wohlgerathen, gesund, kräftig und schlank
von Wuchs, wie eine „gebundene Garbe", und hat sie etwa noch schwarze Augen und
schwarzes Haar, singt sie hübsch, arbeitet sie flink uud stammt aus anständiger Familie,
so steigt ihr Preis leicht bis 200 Gulden.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch