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Wenn die Beistände diesen Progrefsioiisscherz nicht kennen, setzen sie sich hin und
fangen wirklich an, zu rechnen. Der ganze Tisch wird mit Nullen vollgeschrieben und beim
dreißigsten Schritt steht schon der Schweiß auf ihren Stirnen und sie müssen eingestehen,
daß sie nicht so viel Geld mitgebracht haben. Ein erfahrener Beistand ist aber mit dem
Gegenbescheid gleich im Klaren: „Das wäre doch zu viel Arbeit, die vielen Kreuzer hiuzu-
legeu und wieder aufzuheben; bringt lieber eine Wage, ich werde sie Euch nach dem Gewicht
znwägen." Eine so große Wage haben sie freilich nicht im Hause, und so stehen sie
lieber von der Forderung ab. Statt dessen kommen sie nun mit Räthselfragen: Wer war
der erste Selige? (Der gekreuzigte Schächer, dem der Herr sagte: „Heute wirst du mit mir
im Paradiese sein.") — Wann war eine Seele in zwei Leibern? (Als Jouas im Bauche
des Wallfisches stak.) Auf diese Frageu heißt es autworteu, oder ihueu mit solchen Fragen
entgegnen, auf welche die „Herausgebenden" ihrerseits nicht gefaßt sind, sonst wird das
Mädchen nicht herausgegeben. Überall aber finde» sich Delilas, die es nicht zum
Äußersten kommen lassen, so daß uach vielen Hin und Her die Braut schließlich doch
herausgegeben wird, uicht ohne eine feierliche Standrede des herausgebenden Beistandes.
Jetzt fällt die Braut ihrer Mutter weiueud um den Hals, küßt ihrem Vater die Hand,
küßt auch die Geschwister der Reihe uach und verläßt dann das Vaterhaus.
Glockenklang und Flintenschüsse, neue Missionen der Hochzeitsbitter, und nach
Möglichkeit gleichzeitig verlassen beide Hochzeitszüge die betreffenden Häuser, um bei der
Kirche zusammenzutreffen. An der Spitze jedes Zuges geht die eine Hauptperson des Festes:
hier der Bräutigam, dort die Braut. Vor uud uebeu ihueu rechts und links gehen Hochzeits-
bitter mit ihreu Stäben, hinter diesen auf jeder Seite eiu Fahnenträger; die Fahne besteht
ans einem großen farbigen Seidentuche uud die Spitze der Fahnenstange ist mit farbigen
Bändern geschmückt. Hinter diesen reiten wiederum rechts und links zwei bis vier Paar
Bursche auf buut befransten, von Tüchern umflatterte» Pferde», Blumensträuße an den
Hüten, die „Mente" (Überwurfjacke) leicht über die Achsel geworsen nnd die blankleinenen
Hemdärmel frisch in der Luft flatternd; dicht hinter der Braut das weibliche und hinter
diesem das männliche Pnblicum, welche Reihenfolge sich hinter dem Bräutigam umkehrt.
Das Haupt der Braut ist hie und da uoch uach alter Sitte mit einem snnkelndeu Juugfern-
kranze geschmückt, auch mit Rosmarin, zumeist aber mit einem Myrtenkranze und einem
reichen weißen Schleier darüberhin; im Dahiuschreiteu hält sie den Blick gesenkt („sie
schaut aus ihre Schuhspitzen"), bis die Kirche erreicht ist, wo die beiden Züge sich begegnen.
Der Bräutigam trägt die feiertägliche Volkstracht der Gegend, im Alföld also ungarische
Tracht gewöhnlich aus dunkelblauem Tuche und darüber die umgeworfene „Mente" oder
den runden Mantel. Das Gefolge des Bräutigams hält zuerst feiueu Einzug in die Kirche,
zum Zeichen, daß der Mann zu warten hat. Die Fahnenträger und Berittene» halte» vor
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch