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Der Charfreitag ist im ganzen Lande der Tag der stillen Betrachtung und des
Fastens; selbst der Calvinist fastet an diesem Tag und kocht nur Weichselsuppe und
Mohnmehlspeise. Am Charfreitag uud Charsamstag steckt man die Pflugschar uicht in die
Erde, denn an diesen Tagen ist Christus in ihr begraben gewesen.
Der Glanz nnd das bewegte Leben der Frohuleichnamsproeession mit ihren weiß-
gekleideten Mädchen und andächtigen Gesängen erfüllt die Kirchenplätze uud Straßeu.
Die Krone der Processionen in Ungarn ist ohne Zweifel der festliche llmzng in der
Hauptstadt am Sanct Stefanstage (20. August), wobei die Reliquie des heiligen Königs,
die „glorreiche heilige Rechte", umhergetragen wird. An der Procession betheiligen sich
unter Führung der gesammten Geistlichkeit die Honoratioren, Amtsstellen, die Bevölkerung
der Hauptstadt und zahlreiche Leute, die selbst aus entlegenen Comitaten zu dieser
Gelegenheit in der Volkstracht ihrer Gegend herbeipilgern.
Am letzten Abend des Jahres will jeder noch ein letztes Mal vom reichbeladenen
Tische satt werden; nach Eintritt der Dämmerung krachen die Aschentöpfe, Flinten nnd
Pöller, unter den Fenstern erklingen die gewohnten Sylvestergrüße, denn eine Kinderschar
singt in jeder Straße an fünf oder sechs Thüren:
„Einer ist gestorben, hör' doch kein Gelänte,
Auch im Sterbehause weinet Niemand heute.
Gleich am Sterbetage trug man ihn zu Grabe,
Tags darauf dem Todten kam zur Welt ein Knabe.
War nie eine Mutter und gebar doch Tage,
Dreihundertfünfnndsechzig Kinder, gut vom Schlage" — u. s. m.
Ähnliche Gesänge gibt es auch im Fasching, weiln die Bursche, mit langen Holz-
spießen bewaffnet, von Haus zu Haus gehen, die erhaltenen Gaben an den Spieß stecken,
und wenn er voll ist, mit der Beute heimkehren, ein Gelage anzurichten.
Die Nachmittage der Feiertage verbringt das junge Volk überall mit Spiel und
Tanz. Manchmal wird auf dem Hofe des Wirthshauses getanzt, am beliebtesten aber ist
die (spielende) Unterhaltung auf dem Anger, wo Ball geschlagen und umhergelaufen wird.
Der Kreistanz der Ungarn an der unteren Donau ist ein interessantes Schattspiel. So
viele Mädchen und junge Frauen im Dorfe — oft zu Hunderten —, Hand in Hand
stellen sie sich alle in einen Kreis und tanzen singend von rechts nach links. Das Lied
ist gewöhnlich ein ungarisches Andante. Immer andere Lieder werden angestimmt, bis
endlich die in der Nähe müßig stehenden Bursche sich auf die Mädchen stürzen und den
Kreis zerreißen, worauf Lied uud Tanz ins Allegro überschlagen.
Im Fasching, am Tage der zweiten großen Kirchenfeste, sind heute auch geordnete
Bälle nicht mehr selten. Auch das Volk der Puszta nud Tanya will nicht hinter den Städtern
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch