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und Maueranschlägen; auch die Frauen, auf deren „landestöchterliche" Pflichten sich die
Herren Candidaten oft genug und keineswegs ohne Erfolg berufen, uehmen in lebhafter,
ja leidenschaftlicher Weise Theil am „Korteskediren", das heißt an der Wahlbewegung,
Ist die Wahl vorbei, so verzieht sich die geschlagene Partei ruhig, während die siegreiche
ihren Triumph lärmend feiert, nach dem großen Siegesmahl in nach und nach denn doch
ernüchtertem Taumel heimfährt uud höchstens noch mit einigen letzten Eljens die Ruhe
der Schläfer belästigt.
Tags darauf ist Alles ruhig. Nicht selten kommt es sogar vor, daß die beiden Gegen>
Parteien, die in abgesonderten Colonnen zur Wahl gezogen sind, nach der Wahl vermischt
nnter dem siegreichen Banner heimziehen, da ja der Gewählte jetzt nicht mehr eine Partei
repräsentirt, sondern den ganzen Wahlbezirk.
Mag aber auch das Getöse der Wahlen sich legen, ihr Geist schläft doch nicht. Er
wird wach gehalten, ja gestählt durch die „geselligen Clubs"; diese Institutionen, ein-
gerichtet nach dem Muster der in jeder größeren oder kleineren Stadt seit Jahrzehnten,
und besonders seit den Sechziger-Jahren bestehenden Herren-Casinos, dienen zwar dem
Namen nach nnr Cnltnrzwecken, sind aber in Wahrheit entschieden politisch gefärbt. Ein
solcher Club zum mindesten ist schon in jedem Orte vorhanden, in größeren Ortschaften
gibt es deren sogar drei, ja zehn. Jeder hat seinen selbstgewählten Namen (der liberale,
Achtundvierziger-, Unabhängigkeits-, nationalökonomische, industrielle, bürgerliche Club),
der sich aber häufig in irgend einen Spitznamen verliert (der barfüßige, pusztasucheude,
Ochsen-, Unfchlittkerzen-Clnb), oder einfach den Namen der leitenden Persönlichkeit, ja
selbst des Clubdieners annimmt. Jeder Clnb hat seinen auf verhältnißmäßig breiter Grund-
lage eingerichteten Beamtenkörper; dabei wird, da der Ungar, wie jeder Mensch, ein Freund
der Titulaturen ist, darauf gesehen, daß dergleichen für möglichst viele Personen vorhanden
sei und wer schon kein Cassierer, Verwalter, Rechnungsführer, Controlor oder Bibliothekar
sein kann, wenigstens als „Ausschuß" glänzen möge. Bis zur Höhe der Präsidentschaft
erheben sich nnr wenige Augen, da man mit dieser Würde irgend eine vornehme Persön-
lichkeit zu bekleide« pflegt, dereu Protectiou auch diesen und jenen Nutzen gewährt und die
den Club wohl bei den ordentlichen Generalversammlungen besucht, ihn aber sonst nicht
sonderlich belästigt.
Auch Poeten finden sich, welche die denkwürdigeren Ereignisse besingen, Kortes-
lieder verfasse» und den plumperen oder aufsässigeren Figuren des öffentlichen Dorflebens
einen heilsamen Schrecken einjagen. Ja auch an Rednern fehlt es nicht, darunter solchen,
welche der Sprache und dem Gedanken meisterlich den Hals umzudrehen wissen, aber
freilich auch anderen, deren nugequälte Beredsamkeit selbst im Parlamente mit Ehren
bestehen könnte.
Ungarn II. 9
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch