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vielleicht noch ihre Urgroßväter gemeinsame Eltern, nnd der hieher verschlagene Brnder
spricht anch heutigentags deutsch, aber sein rundes Gesicht, sein Wuchs, seine Art zu
arbeiten, ja in vielen Stücken selbst seine Denkart unterscheiden sich kanm etwas von
denen des Kerumagyaren. Und nun erst, nienu dieser deutsche Vetter auf eiuer Puszta
wohnt, wo die Umwandlung noch rascher vor sich geht! Gewiß würde sich der Ausländer
wundern, weun er erführe, daß die Puszteusöhue (über die er manche Schauermär gelesen)
zum guten Theil deutschen und slovakischeu Ursprunges sind; sie heißen Weber, Mayer,
Weßelka, Szkleuar u. s. f. und sind oft nur darum schwer zu erkennen, weil ihnen das
Volk neue Namen, oft Spottnamen, gibt, wenn sie einmal einen Ruf haben.
Nur geringe Unterschiede erhalten sich im Äußern und die Aufmerksamkeit des
Beobachters muß schon scharf auf das Einzelne eingehen — der Magyare besitzt diese
Schärfe — um auf deu ersten Blick zn erkennen, wer magyarischen und wer fremden
Ursprungs ist. So hat der Rock des schwäbische» Bauers im Pester Comitat deuselbeu
Schnitt wie der des magyarischen, er ist aber niemals mit rnnden Metallknöpsen benäht
und seine dunkelblaue Tuchweste weist viel weniger Verschnürung auf. Auch das
gewöhnliche, mit Knöpfen benähte Wintergewand des Puszteubewohners zieht er sich
niemals an. Deßgleichen binden sich die Mädchen das Kopftuch anders uud die Frauen
tragen unter diesem Tuche eine Spitzenhaube. Um die Extreme einander gegenüberzustellen,
führen wir im Bilde einerseits die Volkstracht von Kecskemet, anderseits die von Kalocsa
vor. Heute ist das Volk von Kalocsa ebenso magyarisch wie das von Keeskemet, obwohl
jenes von dalmatinischen, dieses von magyarischen Vätern abstammt; der Unterschied
zwischen beiden wird sofort ersichtlich werden. Auch die Charaktere des magyarisirten
Deutschen uud des Magyaren sind einigermaßen verschieden. Jener ist rnhiger, ordnungs-
liebender, dabei redseliger und mittheilsamer. Und dies gilt anch von den in dieser Gegend
ansäßig gewordenen Slovaken, mit ihrem bescheidenen, zurückhaltenden Wesen.
Im Allgemeinen kennzeichnet sich das Volk im Pester Comitate besonders dnrch
nüchterne Klugheit, Fleiß, Sparsamkeit und eiu conservatives Festhalten an den Über-
lieferungen, jedoch gepaart mit der Fähigkeit, aus jeder Änderung der Verhältnisse Nutzen
zu ziehen. Im Ganzen ist es von beschaulicher Natur uud schöpft seine Kenntnisse mehr
aus der Erfahrung als ans Büchern. Es liebt die Bequemlichkeit, weiß aber die Dinge am
rechten Ende zu fassen, weun die Arbeit dringend ist oder seine Interessen es erheischen.
Wenn der Mann im Accord arbeitet, leistet er Unglaubliches, er arbeitet z. B. iu der
Erntezeit 18 bis 20 Stunden mit Aufwand aller Kräfte selbst bei mörderischer Hitze, fast
ohne sich etwas Schlaf zn gönnen; im Tagelohn freilich macht er fichs bequemer und
stellt sich schwerfällig an, kaum daß er eiu weuig den Stiel der Haue hebt, dessen Länge
ihm sogar die Mühe erspart, dabei deu Rücke» zu beugen. Den ganzen Winter hindurch
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch