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Für dieses beinahe dreihundertjährige Verhältniß, welches Kumanen iliid Magyaren
bald als Freunde Schulter an Schulter, bald als Feiude Auge in Auge stellt, ist es schwer
eine Bezeichnung zu finden. Ihre Kämpfe haben den Charakter von auswärtigen und
Bürgerkriege» zugleich, sie sind aus Bertheidiguugs-, Rache- und Angriffskrieg gemischt,
— und das Ende ist gewöhnlich, daß sie weiter beisammen bleiben. Die Rumänen hatten
vor sich die fruchtbaren Ebenen der Moldau und Südrußlauds, bei spärlicher Bevölkerung
so geeignet für ein freies Nomadenleben, und dennoch konnten sie sich von den Magyaren
so wenig trennen wie die Mistel von der Eiche. Zehnmal gezüchtigt und aus dem Lande
gejagt, kehrten sie zehnmal wieder, von dem Jnftinet getrieben, daß „auf dieser weiten
Welt für sie kein andrer Platz geblieben". Aber zurückgekehrt und wieder aufgenommen,
erwiesen sie sich von neuem wild uud unzähmbar, denn ihr Stammesinstinct vermochte
sich weder mit ihrem nomadischen Leben, noch mit ihren patriarchalischen Einrichtungen
dem staatliche» Orgauismns einzufügen. Sie wollten dies gar nicht, da sie, auf den Kron-
gütern angesiedelt, keinen Herrn außer dem König anerkannten, zu dessen Banderinm sie
mit ihrer ganzen waffenfähigen Mannschaft gehörten, während der König seinerseits der
unbotmäßigen Oligarchie gegenüber iu den „an Treue unersättlichen" Kumanen — diese
Bezeichnung war erst kürzlich wieder als Comitats-Spötterei allgemein zu hören —
jederzeit ein schlagfertiges Kriegsheer stehen hatte. Das waren die militärisch organisirten
königlichen Kumanen, cummü reales, zum Unterschied von den ländlichen Kumanen,
cumuni i-urales. Eine Aristokratie gab es bei ihnen niemals und sie wollten gar keine; auch
Festungen hatte» sie nicht, und im ganzen kumanifchen Gebiete findet sich keine einzige Spur
von Festungswerken; ebensowenig wollten sie sich zu Comitaten gestalten, und da das
Comitatssystem iu innerem Znsammenhange stand mit dem Diöcesansyftem, ist es selbst-
verständlich, daß sie, wie gegen die Hörigkeitslasten, auch gegen den geistlichen Zehent
ankämpften. So stand denn auch ihr Christenthum lange Zeit ans sehr schwankender
Grundlage und sie mögen mit dem kirchlichen Organismus mir iu sehr loser Verbindung
gestanden haben; die häufigen Klagen der hohen Geistlichkeit beweisen es und die
Drohungen der Päpste, sowie auch das Symptom, daß es in ihrem ganzen Bereiche kanm
eine Kirche gibt, dereu Grundvesteu bis ins XlV. Jahrhundert zurückreichen, und die hier
und da sichtbaren Kapellenhügel höchstens als Denkmale jener Versuche anzusehen sind,
welche der Staat unter Mitwirkung der Kirche denn doch zu ihrer Bekehrung und Regelung
gemacht hat.
Schließlich war es der Staat, der eiues solchen Kampfes müde ward, und er überließ
der Zeit die Civilisirnng dieses Stammes, der ein sehr nützlicher und guter Freund ist,
wenn . . . „man ihm nicht an den Bart will". Von da an schien er beruhigt durch eine
Privilegieuurkuude, welche unter König Ladislans IV. auch gesetzlich sanetionirt wurde.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch