Page - 644 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Ungarn (2), Volume 9
Image of the Page - 644 -
Text of the Page - 644 -
644
Griff versehen, über den sich eine Roßhaarsaite spannt. Die berühmtesten Gusleu sind die
aus Ahornholz. Auf der Gusla zu spielen ist uicht leicht. Der Unkundige vermag ihr nichts
als einen winselnden Ton zu entlocken, wogegen der Geübte ihr gar mannigfache Töne
abgewinnt; sie weiut, klagt uud jauchzt mit ihm, sie befeuert ihn und verliert sich wieder
in Wehmuth, die in leisem Hauch erstirbt. Jeder Serbe weiß die Schönheit dieser Musik
zu schätzen und versteht, was die Gusla singt. In Noten hat man es noch nie gesetzt, mau
spielt auf der Gusla nach Belieben. Von Jung uud Alt, vou Groß uud Klein umdrängt,
sitzt der Gnslar da, das ächzende Holz zwischen die Knie gepreßt, und cutlockt ihm mittelst
des Bogens die melancholischen Rhythmen, zu deueu er iu entsprechender Modulation die
alten Heldenlieder singt.
Die Guslaren sind zumeist weißhaarige, oft auch blinde Greise. Sie erinnern an die
Propheten, wie sie denn wirklich Alles für heilige Wahrheit halten, was sie singen. Alte
Volkslieder sind es, ehrwürdigen Ruhmes voll, und sie singen sie zur Gusla am Klippeu-
raude des Sturzbachs sitzend oder im Schatten der hundertjährigen Eiche oder an der
Schwelle einer Felsenhöhle, aber auch auf Jahrmärkten, bei großen Feiertagen und an
Wallfahrtsorten und auch wieder an stillen Winterabenden am freundlichen Herdfener der
vielköpfigen Familie. In diesen Gesängen lebt das Leben des serbischen Volkes, seine
Geschichte nnd sein Gesetz, seine Religion und Politik. In ihnen sind die Thaten der
serbischen Zaren und Könige, Fürsten und Heerführer überliefert, auch die Verkündigungen
der nationalen Wahrsager, die süßen und bitteren, glänzenden und düsteren Träumereien
der Dichter — Vergangenheit, Gegenwart nnd Zuknnft fassen sie in sich.
Der Kolo (Rundreigen). Der Kolo-Tanz ist sehr einfach. Männer und Frauen
halten sich im Kreise gefaßt, gehen nach dem Takt des Dudelsacks drei Schritte uach links
nnd einen nach rechts und singen dazu verschiedene Kolo-Lieder. Zwischen die Männer,
die sich an den Händen halten, treten mit weißen Tüchern umgürtete Frauen. Vom Vor-
täuzer (kolovvclju) geführt, bildet die tanzende Gesellschaft einen Reigen, der sich nach und
nach zum vollen Kranze schließt. Der Kolo beginnt in langsamem Takt, setzt sich nuter
Täudelei und Geplander fort, wird dabei immer fenriger und schließt endlich in einem
rasenden Tempo. Sein Fortschreiten nach rechts und zurück uach links, dann wieder sei»
Vvrwärtsdriugeu im ganzen Halbkreise kann man ein gemächliches nennen, das aber
zeitweilig von Ausbrüchen der Kraft unterbrochen ist. Man tanzt den Kolo im Frühjahr
uud Sommer nnter weithin schattenden Bäumen unter Gottes freien« Himmel, bei Wall-
fahrten auf dem Hof der Kirche, zur Winterszeit in der Stube, aber doch auch zuweilen
auf schneebedecktem Plane. Und dazu singen die Burschen:
„Hei, du Dirnlein frisch und fein,
Tu zergrämst das Herze mein."
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (2), Volume 9
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (2)
- Volume
- 9
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.56 x 21.98 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch