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Steigt man vollends zur srianlischen Ebene nieder, so betritt man einen Boden,
dessen Cultur nach Jahrtausenden zählt nnd in den äußeren Erscheinungen seiner Bebauung
schon die römischen Legionen bei ihrem ersten Auftreten in diesem Landstrich mit Staunen
erfüllte. Eine erklärliche Folge davon ist die geistige Nüchternheit, die scharfe Urtheilskraft
der Bewohner. Reiche Erfahrungen haben sich in der Folge der Geschlechter angesammelt
und sind in einer langen Reihe treffender, echte Lebensweisheit verrathender, oft auch
lauuiger frianlifcher Sprichwörter niedergelegt. Immerhin hört man auch heute noch in
unserem Friaul, wenn die Laudleute an den kalten Winterabenden beim Mangel einer
warmen Stube sich iu den Ställen versammeln, oder wenn die Frauen »alla lila- gehen
und um das Herdseuer im Kreise spinnen, allerlei plaudern. Bald sprechen sie von Hexen,
die ihren Kindern uud Hausthieren Böses zugefügt haben, oder vom Mazzarinl, einem in
Roth gekleideten, freundlich gesinnten Gnomen, bald von Or^non cloe, einer Gattung
Eulenspiegel, der in seiner Einfalt erhaltene Aufträge buchstäblich ausführt und auf diese
Weise lauter Verkehrtheiten ins Werk setzt, oder von ?uan ser»2e paure — Hans ohne
Furcht, den Särge und Todtenschädel nicht in Schreck versetzen, bald wieder von Heiligen-
legenden oder vom Teufel. Ihr Teufel zeigt germanische Züge, denn er ist nur zu Zeiten ein
boshafter Schalk, der den harmlosen Menschenkindern mannigsachen Schabernack spielt,
aber jedesmal den Kürzeren zieht, sowie er anf festen Glauben stößt und frommein Spruche
begegnet. Wenn zur Winterszeit die Stürme ans Nord uud Süd tobend wüthen, sagen
die Leute, daß die Hexen von diesseits und jenseits der Alpen in den Wolken schwere
Kämpfe um die Herrschaft führen; oft sieht man da aber anch nachts einen Streiter auf
gespenstigem weißen Roß durch den Schotter des Jsonzo-Betts jagen, daß die Funken
sprühen, weuu Huf und Kiesel hart zusammentreffen.
Die Erzählungen von der heiligen Schrift entnommenen Persönlichkeiten bewegen
sich fast immer um Dinge, welche die Interessen des Landinanns nahe berühren, um die
Feldsrüchte, andere Erzeugnisse des laudwirthschastlicheu Betriebes oder um den befruch-
tenden Regen, von dessen rechtzeitigem Eintritt in dem der sommerlichen Dürre unter-
worfenen Lande es alljährlich abhängt, ob die Erde reichen Erntesegen spendet. Dem
göttlichen Erbarmen über Jobs Elend wird die Entstehung des Seidenwurms zugeschrieben.
Als jener vielgeprüfte Maun von Würmern bedeckt dalag und seine Leiden auf das
höchste gestiegen waren, erachtete der liebe Gott den Augenblick für gekommen, denselben
endlich ein Ziel zu setzen. Er ließ zu Jobs Haupte eine» Maulbeerbaum rasch empor-
wachsen und die Würmer, denen die Nahrnng vou seinem Laube lecker erschien, krochen
so rasch sie eben konnten auf deu Baum und waren von der Stunde an Seidenwürmer,
eine köstliche. Gottesgabe, namentlich für den armen frianlifchen Eolono, dem sie im
Frühjahr das erste Bargeld bringen, wenn sie nach Wunsch gedeihen.
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Das Küstenland, Volume 10
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Das Küstenland
- Volume
- 10
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1891
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.63 x 22.44 cm
- Pages
- 390
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch