Page - 227 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Dalmatien, Volume 11
Image of the Page - 227 -
Text of the Page - 227 -
227
Kritik übte Tommaseo in gleichem Sinne aus; ohne daß er engherzig die Schöpfungen
der Kunst nach anderen Grundsätzen als eben denen der Kunst beurtheilen wollte, bricht
bei ihm doch stets die Überzeugung durch, daß der Schriftsteller nur dann seiner Mission
völlig gerecht wird, wenn er sein Talent in den Dienst des Guten stellt und es zur
Erziehung seiner Mitmenschen verwerthet. Darum seine Strenge gegen allgemein anerkannte
Größen, eine Strenge, die, manchmal zn weit getrieben, in der Lauterkeit der Gefühle,
aus welcheu sie entsprang, ihre Rechtfertigung findet. In seinen literarhistorischen Arbeiten
wußte Tommaseo die alles Thatsächliche, selbst scheinbar unwichtige Einzelheiten berück-
sichtigende Forschung mit einer weit ausblickenden, auf das Wesen der Sache gerichteten
Auffassung glücklich zu verbinden. Am liebsten wendete er die Form des Essays an,
welches ihni die Möglichkeit bot, an fremde Schriften anknüpfend die eigenen Gedanken
zu entwickeln. Diese in der Regel ihren Ausgangspunkt an Werth weit überragenden
Studien vereinigte er zu Büchern, wobei er theils die zerstreuten Aufsätze iu organische
Verbindung brachte, theils lexikalische Anordnung wählte. Große Verdienste erwarb sich
schließlich Tommaseo um die Dante-Forschung. Sein Commeutar zur göttlichen Comödie
schlug neue Bahnen ein. Er deckte nämlich die Quellen auf, aus welchen Dantes poetische
und wissenschaftliche Conceptionen flössen: die altrömischen Autoren, die Bibel, die älteren
Kirchenväter und die scholastische Philosophie, zumal die des Thomas von Aqnino. Die
Fülle der Parallelstellen, welche oft überraschende Berührungspunkte darlegen, zeugt von
der großen Gelehrsamkeit des Meisters. Dazu kommt eine Reihe von prächtigen Excnrsen
über äußeres und inneres Leben des Dichters, sowie über Interpretation seiner Werke.
Tommaseos Stil erhebt sich zur Bedeutung eines echten Kunstwerkes und trägt als solches
ein eigenthümliches, unverkennbares Gepräge: kurze Sätze, oft epigrammatisch zugespitzt;
Vorliebe für autithetifche Figuren, bald in symmetrischer, bald in chiastischer Anordnung;
feine Cifelirnug, wenn gleich manchmal allzu große Sorgfalt verrathend; das Ganze in
reinster, von poetischem Geiste erfüllter Dictiou. Denn Tommaseo war auch ein Dichter.
Seine Poesie ist von eigener Art und spiegelt die bisher geschilderte Geistesrichtung des
Mannes getreu wieder. Religion, Politik, Moral, speculative Philosophie, Naturwissen-
schaften, Alles zieht ihn an und kleidet sich ihm in die idealen Formen der Poesie. Dem
Ernst des Inhalts entspricht ein gedrungener, nach mathematischer Präcision strebender
Ausdruck. Dadurch erleidet die Uumittelbarkeit der dichterischen Wirkung einige Einbuße;
sobald man aber das erste Befremden überwindet und in die Eigenart des Dichters ein-
dringt, wird man sowohl durch Reichthum uud Tiefe der Gedanken als durch Innigkeit
des Gefühls uud wahre dichterische Schönheiten reich belohnt. Auch im psychologischen
und historischer. Roman versuchte sich Tommaseo nicht ohne Erfolg. Zu diesen zwei
bedeutenden Mäuueru, welche fast ihr ganzes Leben in Italien zubrachten, gesellt sich der
15»
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Dalmatien, Volume 11
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Dalmatien
- Volume
- 11
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1892
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.54 x 21.83 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch