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A. Franceschis recht Tüchtiges leistete; dann das unter dem Titel ^nnuario valmatieo
erscheinende Jahrbuch, welches in seiner neuesten Gestalt an Gediegenheit des Inhalts
bedeutend gewonnen hat. Daß diese Publicationen — wie schon ihre Namen ankündigen —
meist Dalmatinisches bieten, liegt in der Natur der Sache und ist als ein Vorzug anzusehen.
Sie erfüllen in der That ihren Zweck dadurch am besten, daß sie, ephemeren Erzeugnissen
der Phantasie nur beschränkten Raum gönnend, sich zum Theil mit literarischen und
wissenschaftlichen Studieu und Berichten allgemeinen Inhalts beschäftigen, zum Theil —
und dies iu erster Linie — die geistigen und volkswirthschastlichen Interessen der Heimat
vertreten. —
Diese Studie über das italienische Schristthum Dalmatieus bedarf noch einer
kurzen, die Volks literatnr berücksichtigenden Ergänzung. Nichts spricht beredter für
die ethnographischen Verhältnisse der Bewohner oder eines Theiles der Bewohner eines
Landes als das Vorhandensein von Liedern und Märchen, die ein Geschlecht dem anderen
durch mündliche Tradition überliefert. Einzelne sachliche Modificationen ergeben sich im
Laufe der Zeit; leise verändert sich der sprachliche Ausdruck; im Ganzen und Großen
handelt es sich um altes Gut, welches das Volk mit der ihm innewohnenden Zähigkeit
treu bewahrt. Es dauerte überall lange, bis diese unscheinbaren Gebilde der Beachtung
gewürdigt wurde». Unserem Jahrhundert war es vorbehalten, deren poetische und
wissenschaftliche Bedeutung zu erkennen; sie zu sammeln, zu sichten, zu deuten ist eine
Aufgabe, der sich seit geraumer Zeit eine Schar ernster Forscher in ganz Europa mit
Eifer und Erfolg unterzieht. Daß nun längs der dalmatinischen Küste und vielfach auf
den Inseln das Volk in der ihm eigenen italienischen Mundart allerlei singt und erzählt,
konute Jeder, der nur hören wollte, deutlich wahrnehmen; es fand sich aber Niemand,
der es als die Mühe lohnend betrachtete, diesen Stimmen zu lauscheu. Erst vor eiu paar
Jahren nahmen einige wackere junge Leute die anziehende Arbeit in Angriff, und die
erste Ernte, die sie einheimsten, war überaus ergiebig. Mannigfaltig sind die Lieder,
welche wir da vernehmen: erzählenden, satyrischen, heiteren Inhalts; dann Liebeslyrik
mit ihrem so vieler Tonarten fähigen Grundmotiv; fromme Gebete nud Legenden; Räthsel,
Kiuder- und Wiegenreime. Keine Gattung, keine Abart, die nicht vertreten wäre. Daß
es sich fast ausschließlich um solches Material handelt, das nicht blos in Italien, sondern
zum guten Theil in allen westlichen romanischen Ländern weite Verbreitung fand, versteht
sich von selbst; in der Neigung uud Fähigkeit, sich solche Schöpfungen anzueignen, gibt
sich eben die Seele eines Volkes kund. Auch läßt sich bemerken, daß manches Lied, welches
anderswo ein verkümmertes Leben fristet, in Dalmatien — Dank der Abgeschiedenheit
des Landes — in alter Schöne nnd alter Kraft uns entgegentönt. Das Gesagte gilt
in gleichem Maße von den Märchen; das beim ersten Suchen Gefundene übertrifft, der
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Dalmatien, Volume 11
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Dalmatien
- Volume
- 11
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1892
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.54 x 21.83 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch