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die Feuersbrunst des Jahres 1723 beschädigten Thurme eine Zwiebelkuppel auf und
umfingen den Fuß seines achteckigen Theiles beiderseits unter dem Dachstuhl mit einer
angebanten dicken Mauer. Obwohl nun die Umänderungen der letzten zwei Jahrhunderte
viel verdorben haben, sind die Spnren des früheren Zustandes der Kirche doch nicht
gänzlich verwischt. Als der Beschluß gefaßt worden, zum Gedächtniß der füufundzwanzig-
jährigen Regierung König Franz Josephs I. die Westfa^ade und den Matthiasthurm
wiederherzustellen und Seine Majestät mittelst Erlasses vom 25. November 1873 die
angestrebte Restanrirnng gestattet nnd verfügt hatte, ging Friedrich Schulet, der mit
dem Restanrirnngswerke betraute Architekt, den unter den später angebauten Theilen
gefundenen Spuren nach, brachte Licht in den bis dahin verborgenen ursprünglichen
Organismus dieses in jeder Beziehung iuteressautesteu Baudenkmales der Hauptstadt,
sowie in dessen sechshundertjährige Geschichte, die wir auf Grund der von ihm freundlichst
mitgetheilten Daten oben skizzirt haben. Zugleich aber stellte sich die Uumöglichkeit
heraus, die einzelnen Theile des Gebäudes wiederherzustellen, man erkannte die Noth-
wendigkeit eines vollständigen Neubaues, wenn der völlige Ruin des Bauwerkes verhütet
werden sollte. Auch diese große und schwere Arbeit wurde Friedrich Schulek über-
tragen, der, nach seinen vorhergegangenen Forschungen, in dem Bau wie iu einem
offenen Buche las. Zum Ausgangspunkt nahm er die klar erkannte Grundidee der Anlage
des XIII. Jahrhunderts, behielt jedoch, Dank seinem gleich lebhaften Sinn für Kunst und
Geschichte, auch Manches von den gothischen Details des XIV. und XV. Jahrhunderts
bei. Anch die stoffliche Erneuerung der Bautheile an ursprünglicher Stelle nahm er nur
dort vor, wo dies als uuabweisliche Nothwendigkeit erschien, allein auch dann uuter
gewissenhafter Wahrung der ursprünglichen Formen. So ließ er auch an den völlig
umgebauten Chören von dem Alten nur das Regelwidrige fort, bei der Herstellung des
kleinen Südportals aber beuützte er die Details, die sich uuter den zur Vermanernng der
Thoröffnung verwendeten Steinen vorfanden. So wurde der Neubau, von Schritt zu
Schritt das Alte suchend und erneuernd, im Laufe vou siebzehn Jahren durchgeführt. Aus
der Grundidee des XIII. Jahrhunderts ergibt sich, daß weder das Äußere noch das Innere
der Kirche den entschieden aufwärtsstrebenden Charakter der entwickelten Gothik zeigt; ihr
geränmiges, durch farbige Fenster beleuchtetes Innere und besonders der Chor machen
eher den Eindruck des romanischen Baustils, wie nicht minder der stämmige Thurm an
der nördlichen Ecke der Westfa^ade. Die an den alten Bautheilen gefundenen Farbenspuren
beweisen uuwiderleglich, daß das Junere der Kirche einst farbig ornamentirt war. Die
farbige Ausschmückung der erneuerten Kirche ist gegenwärtig im Gange. Damit wird das
Innere des Baues dieses wieder hervorgezauberten schönen Denkmals der Vergangenheit
vollendet sein, mit dem die Wissenschaft und Kunst des Architekten die Hauptstadt beschenkt
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Volume 12
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (3)
- Volume
- 12
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.49 x 21.91 cm
- Pages
- 626
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch