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Bis zur Schlacht bei Mohacs hatte Ungarn eine würdige Hauptstadt: Ofen. Diese
Stadt besaß die Erfordernisse damaliger Metropolen: Kirchen, welche als Meisterwerke der
Architektur galten, Lehranstalten, Straßen mit Palastreihen, Lustgärten, auf den öffentlichen
Plätzen Springbrunnen mit Statuen; die Pracht der Königsburg wird noch von späteren
Besuchern, wie Salomon Schweiger und dem kaiserlichen Gesandten Grafen Walter Leslie
gerühmt. Der Ruhm der Corviuifchen Bibliothek ging durch die ganze gebildete Welt.
Auch blühten in Ofen und Pest Industrie und Handel, ohne die eine Hauptstadt nicht
denkbar ist. Und die Schwesterstädte hatten auch ihre staatsrechtliche Wichtigkeit: die
Reichstage wurden auf dem Räkos abgehalten. Unter der Türkenherrschaft sank Budapest.
Diese anderthalb Jahrhunderte raubten ihm fast alle Bedeutung; nur Ofen kam noch als
starke Festung in Betracht. Nach der Belagerung von 1686 aber, die es der Türkenhand
entriß, war es ein Trümmerhaufen, aus dem sich nur sehr langsam wieder etwas machen
ließ. Wohl erhoben sich neue Mauern und Häuser, auch recht bescheidene Kirchen, aber
das mächtige nationale Leben von einst konnte man in der gesunkenen Hauptstadt nicht
wieder hervorzaubern; dies sollte erst der schweren Arbeit weiterer anderthalb Jahrhunderte
gelingen. Für diesen Zeitverlust sind die jetzt lebenden Geschlechter entschädigt durch ein
Schauspiel, wie es nur der rasche Entwicklungsgang Amerikas auszuweisen hat: die
stürmische, ja wunderbare Gestaltung einer nationalen Hauptstadt. Die Glücklichen, denen
es vergönnt war, diesen Umgestaltungsproceß mitanzusehen, was um sie her vorging, sie
waren Zeugen des Wunders, wie die am Boden kriechende Raupe sich in eine Puppe
verwandelt und wie die starre Puppe ihre schwerfällige Form sprengt, um auf Elfenflügeln
einen goldbestäubten Schmetterling entflattern zu lassen. Wir sehen die kehrichtbedeckten
Ufer der Donau verschwinden und an ihrer Stelle Granitmauern emporwachsen, welche
die störrischen Fluten bändigen. Keine plumpen, von schwacher Menschenhand gelenkten
Barken befahren mehr den Spiegel der Donau, sondern kleine Dampfer schießen blitz-
schnell hinüber und herüber. Die Schiffbrücke mit ihren UnVollkommenheiten weicht der
künstlerischen Vollendung der leicht und doch sicher schwebenden Kettenbrücke, der sich
später das gedrungenere Gesüge der stromaufwärts gelegenen Margarethenbrücke zugesellt,
während eine dritte, die Eisenbahnbrücke, die an beiden Ufern zusammenlaufenden Schienen-
stränge verknüpft — und bereits die vierte, ja die fünfte Brücke geplant wird. Die elenden
Hütten am Ufer, die nngeftalten ebenerdigen Häuschen mit ihrer schmutzigen Umgebung
müssen fallen und geben glänzenden Palästen Raum. Straßen, ganze Stadttheile stürzen in
Trümmer, Radial-und Ringstraßen öffnen Wege für Luft, Licht, Reichthum und Gesundheit.
Der kahle Rücken des Blocksberges nmlaubt sich mit neuem Grün, die Umgegend der Stadt
füllt sich mit blumigen Gärten und Colonien von Landhäusern voll blühenden, lächelnden
Lebens. Von zehn zu zehn Jahren verändern sich die einzelnen Theile der Stadt bis zur
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Volume 12
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (3)
- Volume
- 12
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.49 x 21.91 cm
- Pages
- 626
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch