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unter vielen Anderen Lorenz Orczy, Abraham Barcsai , Alexander Baröczi, Paul
Änyos und Josef Peezeli. Unter diesen that Baröczi das Meiste für die Ausbildung
des ungarischen Prosastils, Änyos war der echteste Dichter, Peezeli aber gleichsam der
Fortsetzer der Agitation Bessenyeis. Die beiden Letzteren schlössen sich in der Heimat der
Bewegung der Gardisten-Schriftsteller an, die in ihnen neue Stützen gewann. Unter den
Gardisten errang sich seinerzeit Baröczi das größte Ansehen durch die ungarische Über-
setzung von Calpren'edes „Kassandra" und Marmontels „Moralischen Fabeln." Aus
diesen Übersetzungen geht hervor, daß Baröczi unter ihnen an Bildung, Talent und
feinem Sprachgefühl der bedeutendste war, der gleichsam eine neue Sprache schuf, eine, die
Vielen unverständlich erschien, jedoch lebendig und geschmeidig war und ihm gestattete, die
Ideen des gebildeten Westens zum ersten Male getreu und schmiegsam wiederznspiegeln.
Er gab das erste Beispiel, wie man den Ton der vornehmen Gesellschaft, der aus „lauter
Höflichkeit" besteht, und auch das in rednerischen Formen sich ergehende Pathos der
Empfindsamkeit schön ausdrücken könne. Was er bei Marmontel und Calprenede sah, dem
trachtete er auch magyarische Laute zu geben. Gerade dieser Erfolg seiner Thätigkeit erregte
die Aufmerksamkeit Kazinczys, der ihn aus diesem Grunde zu einem seiner Lehrer machte.
Während die Jünger der französischen Schule sich au die obere Schichte der Nation
wandten und ihre unter fremdem Einfluß entstandenen Ideen der mit dem Auslande
bekannten oberen Klasse verbündeten, treten drei eifrige Mönche, die ihre Begeisterung
aus der alten lateinischen und griechischen Poesie geschöpft haben, mit ganz neuen Formen
der magyarischen Dichtkunst vor die lateinisch gebildete Klasse der Nation. Zn dieser
zählten sie den ganzen mittleren Adel, ja selbst einen Theil der Gewerbetreibenden, da
Kenntniß und Gebrauch der lateinischen Sprache damals eine unvermeidliche Bedingung
auch einer mittelmäßigen Bildung waren.
Schon in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts hatte Johann Sylvester (Erdösi)
magyarische Versuche mit den alten lateinischen Versmaßen gemacht, und sie waren über-
raschend gelungen. Von da an weiter bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde
das Verfahren Sylvesters immerzu nachgeahmt, nicht sowohl in bewußter Absicht, als
vielmehr aus dem natürlichen Antrieb, der äußeren Form des magyarischen Verses mehr
Abwechslung zu verleihen. Graf Gedeon Räday wollte, am Anfang der Regierung
Maria Theresias, gleichzeitig die classischen und westeuropäischen Versformen in der
ungarischen Literatur heimisch machen. Indeß gelangten seine Versuche erst später an die
Öffentlichkeit, und die Wirkung des hochgelehrten Mannes wurde eigentlich nur in den
Bestrebungen Kazinczys und der um diesen grnppirten Schriftsteller fühlbar. Ehe noch die
Versuche Rädays erschienen, traten die drei eifrigsten Kämpen der classischen Richtung
als Bahnbrecher aus, mit der tiefen Überzeugung, daß nur die Nachahmung der alten
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Volume 12
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (3)
- Volume
- 12
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.49 x 21.91 cm
- Pages
- 626
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch