Page - 306 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Ungarn (3), Volume 12
Image of the Page - 306 -
Text of the Page - 306 -
306
Andreas heim. Die Empörer sind bereits vernichtet, sie haben sämmtlich schwer gebüßt.
Bank klagt die Königin an, als aber Andreas ihn zum Zweikampf fordert, legt Bank, zuni
Zeichen, daß er die Königin ermordet habe, das Schwert nieder und es findet sich keiner,
der den berühmten Ritter für würdig hielte, mit ihm die Klinge zu kreuzen, denn Jedermann
verachtet den Frauenmörder. Beim Anblick der Leiche Melindas bricht Bank vollends
zusammen, er, der aus dem Hort des Gesetzes dessen Verletzer, aus einem Ritter ein
Frauenmörder, aus einem treuen Unterthan ein Majestätsverbrecher geworden. Indem
Bank sich in eigener Sache zum Richter aufwirft, lehnt er sich nicht nur gegen die gesell-
schaftliche Ordnung auf, sondern auch gegen seine eigene sittliche Grundlage. Das tragische
Princip in ihm ist so stark, wie in den besten Tragödien der Weltliteratur. Auch die übrigen
Figuren sind getreu und mit scharfen Zügen gezeichnet; sie sind echte Individuen wie die
Shakespeares. Seine Sprache ist dramatisch; obgleich vielfach schwerfällig, schwillt sie doch
überall von Ausdruck und Kraft. Johann Arany fand sie so shakespearisch, daß er gegen Ende
seines Lebens einige Scenen Banks ins Englische übersetzte.
Als die Trefflichkeit des „Bank-Ban" überall durchzudriugen begann, hatte bereits
eine der hervorragendsten Gestalten des „Anrora"-Kreifes und der ungarischen Literatur
überhaupt, Michael Vörösmarty (1800—1855), die Herrschaft im Reiche der ungarischen
Dichtung angetreten und setzte die große Umwandlung ins Werk, welche diese Poesie
durchmachen mußte, um den Einfluß der fremden Geister abzuschütteln und sich immer
mehr auf nationaler Grundlage fortzuentwickeln. Was Karl Kisfalndy begonnen, das
setzte Vörösmarty, als ausdauernder Kämpe der nationalen Bestrebungen, mit weit
größerem Talente fort, indem er die Freiheit der Phantasie und die gestaltende Macht des
nationalen Elements verkündete. Er schenkte der Nation ausgezeichnete Werke, aber er
that noch mehr — seine Gesammtwirkuug bedeutete gleichsam eine Neuschaffung der ganzen
Literatur. Die durch Kaziuczy erneuerte Kunstsprache wurde durch ihn erst magyarisch,
klangvoll und so schön, daß sie sich nur durch Johann Arany noch höher heben konnte. Er
ist der wahre Begründer der magyarischen Dichtersprache, der die alte und die neue Sprache
verschmolz und zu einer hohen Stufe der Vollendung emporführte. Er griff neue Stoffe
auf, er verkündete neue Gedanken und Ideen, um das nationale Element zu einem
künstlerischen zu machen und die lebensfähigsten Errnngenschaften der verschiedenen
poetischen Richtungen zu verknüpfen. Das Element der Sage und Geschichte lebte durch
seine in jeder Faser nationale magyarische Poesie mit epochemachender Wirkung auf.
„Der Triumph seiner Dichtung", sagt sein Biograph Gynlai, „war der Triumph des
nationalen Geistes und der dichterischen Freiheit. Dies ist das herrlichste Denkmal seines
Genius, welches durch keiue Änderung des Geschmacks, noch dnrch die Meisterwerke der
Zukunft verdunkelt werden kann, so lange nationaler Geist im Ungarn flammt."
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Volume 12
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (3)
- Volume
- 12
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.49 x 21.91 cm
- Pages
- 626
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch