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Gerade dies ist ein Hauptruhm von Toldys Laufbahn. Von 1828 angefangen, als
eine Skizze der ungarischen Dichtkunst unter dem Titel: „Handbuch der ungarischen Poesie"
erschien, sammelte er ununterbrochen Daten zur Geschichte der ungarischen Literatur und
Wissenschaft, um ein vollständiges Bild der Thätigkeit des ungarischen Geistes, von den
ältesten Zeiten bis auf unsere Tage, herzustellen. Unübersteiglich beinahe waren die Hinder-
nisse, die sich ihm in den Weg stellten. In dieser ganz neuen Wissenschaft waren seine Vor-
läufer nur kümmerliche und fragmentarische Versuche, überdies waren die Denkmäler der
alten Literatur an manchen Orten auch gar nicht zugänglich; mit der kritischen Prüfung
der ungarischen Schriftsteller aber begann man sich erst unter seiner Einwirkung näher zu
beschäftigen. Und trotzdem schrieb er seine zweibändige Geschichte der ungarischen Literatur
bis zur Schlacht bei Mohäcs und die gleichfalls zweibändige Geschichte der ungarischen
Poesie bis zu Alexander Kisfalndy. Dann veröffentlichte er in kurzer Skizze die ganze
Geschichte der ungarischen Literatur von den ältesten Zeiten bis anf unsere Tage und legte
damit den Grund zu dieser Wissenschaft, was ihm die ewige Dankbarkeit der Nation
sichert. Wer immer die geistigen Denkmäler der Vergangenheit Ungarns untersuche, er
kann nür von den Resultaten der Forschungen Toldys ausgehen und nur seine Daten
durch immer neuere, ihn oft ergänzende, oft berichtigende Znsätze vermehren, wie es eben
auch die jetzigen hervorragendsten Vertreter dieser Wissenschaft: Paul Gyulai, Alexander
Jmre, Aron Szilädy, Zsolt Beöthy und Andere thun.
Ein Mann, der sich große Verdienste um die literaturgeschichtliche und kritische
Forschung erwarb, war ferner Johann Erdelyi (1814—1868), einer der ersten Vertreter
der kritischen Richtung, die sich seit 1840 zu entwickeln begann. Auch er verkündete die
Rechte der Kritik, deren Wirkung zu künstlerischer Sorgfalt anhalte und die Ideen kläre;
er drang in der Poesie auf Harmonie des Allgemeinen und Besonderen, des Universellen
und Individuellen, und verwies, namentlich im Kampfe gegen Petöfis Nachahmer, von
denen es seit den Ereignissen von 1848/49 wimmelte, auf die ideale Richtung, die allein
fähig sei, die Dichtkunst auf den durch Vörösmarty, Petöfi und Arany gewiesenen Pfad
zurückzuführen. Er berief sich auf die Philosophie der Kunst, anf die in der Eontinnität
des historischen Geistes erblickten ewigen Gesetze, um mit tiefer Überzeugung und gründ-
lichem Wissen das Wort zu erheben für die lebensfähigen Errungenschaften der modernen
ungarischen Poesie. Er bestrebte sich, die Grundzüge der ungarischen Kritik festzustellen,
nicht blos mit der Empfänglichkeit des gebildeten Geschmacks und Geistes, der Unparteilich-
keit des Richters, sondern auch mittelst seiner reichen philosophischen Kenntnisse, seiner die
Verkettung der Ideen aufspürenden, die Entwicklung des historischen Geistes ermittelnden
Analysen. Er mahnte und lehrte, erläuterte und klärte auf. Er war mehr Philosoph als
Kritiker, mehr Beobachter der geschichtlichen Entwicklung als Zergliederer einzelner Werke.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (3), Volume 12
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (3)
- Volume
- 12
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1893
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.49 x 21.91 cm
- Pages
- 626
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch