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In der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts entstanden nach dem System des
Hofrathes F. A. Raab auf allen Cameral-, Fonds- und Stadtherrschaften viele neue
Dörfer in Böhmen (das System der sogenannten Raabisation). Die Grundstücke der
herrschaftlichen Höfe wurden unter kleine Leute, einheimische und herbeigerufene Deutsche
vertheilt, diese bauten sich ihre Häuser darauf und so entstanden neue Dörfer, welche neue,
nicht selten deutsche Namen mitten auf böhmischem Gebiete erhielten. Die neuen Ansiedler
hießen Familianten und ihren Unterthansverpflichtungen kamen sie nicht in natura, sondern
durch Geldzahlungen nach. Ihre Dörfer unterschieden sich weder durch ihre Ausbreitung
noch durch deu Bau der einzelnen Häuser von den älteren.
In neuester Zeit gab der Aufschwung der Industrie, namentlich in Gebirgsgegenden,
Veranlassung zur Anlegung neuer Colouien. Um die Glashütten und Fabriken entstanden
und entstehen jetzt noch Dörfchen und Dörfer, die allerdings ein schon mehr modernes
Gepräge haben; sie weisen Gassen auf oder sind zerstreut, je nachdem es die Bedürfnisse
des Etablissements oder die Terrainverhältnisse erheischen.
Freundlich ist der Anblick eines böhmischen Dorfes mitten in den sorgfältig
bebauten Felderu, die hier wie eiu buntes Schachbret mannigfach getheilt sind, dort
wiederum in langen Streifen bei den einzelnen Gebäuden zusammenlaufen. Zwischen
diesen Streifen, häufig auch ihnen entlang, ziehen sich Feldwege, nicht selten im Schatten
von Baumalleen — meist sind es Zwetschkenbäume — und führen zu den Gärten hinter
dem Wirthschaftsgebäude, die voll von Obstbäumen sind. Zwischen diesen Bäumen ist das
Dorf wie versteckt. Graue Schindel- oder Strohdächer der hölzernen Gebäude und ihre
entweder gar nicht oder nur weiß gestrichenen Giebel ragen da neben den mit Schiefer
oder Ziegeln bedeckten Dächern neuerer Gebäude hervor. Diese erheben sich oft wie ein
herrschaftlicher Hof aus der Masse der Obstbäume und werden nnr von uralten Linden
oder mächtigen Ahornen und Eschen überragt.
Nur die Kirche mit ihrem Thurm, dessen Dach häufig die Form einer Zwiebel
zeigt, erhebt sich noch höher als sie; sie steht entweder mitten im Dorfe oder auf einer
Anhöhe über demselben, das Pfarrhaus und das moderne geräumige Schulhaus zur Seite.
Hier uud da sieht man anf einer solchen Anhöhe die Ruinen einer alten Burg oder eiu
Schlößchen, das aus eiuer alteu Beste, dem Sitze der altböhmischen Vladyken, entstanden
ist und bei ihm oder häufig auch nur allein einen solid gebauten und geräumigen herr-
schaftlichen Hof, zu dem wie zu dem Schlosse eine Lindenallee oder hohe Pyramidenpappeln,
die man schon aus der Ferne sieht, den Weg markiren. Auf den Feldern oder am Wege,
der in das Dorf führt, oder am Scheidewege sieht man häufig ein steinernes oder roth
angestrichenes hölzernes Kreuz mit dem Bilde des Gekreuzigten aus Blech, steinerne Marter-
säulen mit einem Bilde in der Nische, Heiligenstatuen oder ein neueres Kreuz aus Gußeisen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Volume 14
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (1)
- Volume
- 14
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1894
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.78 x 21.93 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch