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selbständiger Entwicklung verleihen, wie ihn kaum andere Volkstheile und Gebiete in
diesem Maße besitzen.
In seiner Gesammtheit trägt der Volkscharakter der Deutschen Böhmens im Wesen
alle Hauptzüge des Germanenthums in sich, das sich im Norden des Landes mehr nach
der etwas strengeren norddeutschen, im Süden nach der weicheren Art des deutschen
Donaugebietes entwickelt hat. Mehr hochgewachsene als gedrungene Männer, kernhaft,
sehnig, dabei in der Regel behend und geschickt, mit ausdrucksvollen, in den Gebirgstheilen
oft sehr markigen Gesichtern, blauen oder grauen, seltener dunklen Augen, mit blonden
oder lichtbraunen — dazwischen auch öfter flachsfahlen und goldblonden — Haaren, sowie
mittelgroße, wohlgebaute, mehr edel-schlanke als rundlich-beleibte Frauen — darunter
viele von auffallender Wohlgestalt und selbst Schönheit der Gesichts- und Körperbildung
— stellen den Hauptstamm des Volkes dar. Offene Herzlichkeit, wie sie überhaupt die
südlichen Deutschen und vor Allem jene Österreichs auszeichnet, dazu aus alter Überlieferung
gefestete Treue, Rechtlichkeit, echte Frömmigkeit, die selbst in den Wald- und Gebirgs-
gebieten selten mehr zur Bigotterie wird, tiefwurzelude Liebe für Kaiser und Vaterland,
sehr reger Familien- und Heimatsinn, doch dabei auch deutsche Wanderlust, die viele
Tausende jährlich in die weite Welt treibt, um das Leben kennen zu lernen und sich fort-
schrittsfroh daran zu bilden, ernste Strebsamkeit nach geistigem und wirthschaftlichem
Erwerb, Arbeitsfreude und Arbeitstüchtigkeit, Lebensklugheit und schaffende Umsicht, ins-
besondere große Zähigkeit und Ausdauer, männlicher Freimuth im Denken und Thun,
Hochsinn und Gefühlskraft und hierauf sich stützende zielfeste persönliche Tapferkeit, treu-
herzige Gastlichkeit, die seltener als in anderen, besonders südlichen Gebieten in Leichtsinn
und Verschwendung übergeht, Anstelligkeit, Pflichteifer und Verläßlichkeit, die besonders
im Beamtenthum, wie anerkannt, so rühmlich hervortreten, endlich, was gewisse Gebiete
betrifft, eine zum Theil erstaunliche Anschmiegnngssähigkeit der Bevölkerung an selbst
sehr ungünstige Natur-, Orts- und Zeitverhältnisse und eine förmlich heldenhafte aus-
dauernde Genügsamkeit, besonders der Bewohner der Gebirgskämme, sowie der weniger
fruchtbaren rauheren Hochebenen, zeichnen das deutsche Volksthum in Böhmen weithin
charakteristisch aus.
Um das Eigenartige der Hauptvolkstheile im Einzelnen darzulegen, müssen wir
nach den verschiedenen Hauptgebieten und Stämmen vorgehen. Die Natur, welche am
ersten und meisten zu dieser Sonderentwicklung beigetragen hat, sei auch hier die berufene
Führerin. Sie verweist uns auf die Eiutheiluug nach den Hauptgebirgen, Strömen und
Flüssen, nach welchen sich zumeist die Volksansiedlung und Entwicklung richtete. Vom
Böhmerwaldgebiete absehend, das an anderer Stelle zur Darstellung gelangt, beginnen
wir unsere Überschau im Westen und Nordwesten des Landes mit dem ziemlich langhin
Böhmen. 32
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (1), Volume 14
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (1)
- Volume
- 14
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1894
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.78 x 21.93 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch