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in Mähren propagirt, und so erschien denn 1601 in Olmütz das Gesangbuch des Stern-
berger Propstes Johauues Nozeuplut von Schwarzeubach, das auf 866 Quart-
seiteu nebst einer kleineu Auswahl der bekanntesten lateinischen Gesänge eine Menge
böhmischer geistlicher Lieder enthielt, die den eigentlichen Grundstock aller folgenden
katholischen Gesangbücher bildeten.
Diese ganze Canzionalliteratnr Böhmens war zunächst zum Gebrauche des Volkes
bestimmt. In der katholischen Welt war aber im Verlaufe des XVI. Jahrhunderts der
eigenen, vorzüglich geschulten Sängerchören anvertraute vielstimmige lateinische Kunst-
gesaug zu seiner höchsten Blüte gelaugt; es ist die überaus glänzende Epoche von
Josqnin bis Palestrina, Orlando di Lasso uud Giovauui Gabrieli. An dieser ganzen
Kunstbewegung konnte daher Böhmen doch mir einen im Verhältniß zu seinem Musiksinn
geringen Antheil haben, da ja hier der Katholicismus uud mit ihm der lateinische Kircheu-
gesaug erst in zweiter Lin-ie, zum Theil sogar ganz im Hintergrund stand, hingegen das
geistliche Volkslied zum treibenden und führenden Element geworden war.
Allerdings war dadurch das Verlangen nach höheren Knnstleistuugeu im Gebiete
der Kirchenmusik durchaus uicht beseitigt, umsoweuiger aber gestillt. An die Befriedigung
desselben trat jedoch wiederum das Volk herau, natürlich in seiner Weise. Für den täglichen
Bedarf des Gottesdienstes hatten zwar die Cantoren der Schulen und die Organisten zu
sorgen, denen meist ein gezahltes Sängerpersouale zur Hand war; das aber, was dem
Kirchengesange Böhmens namentlich im XVI. Jahrhundert einen ganz eigenthümlichen
Charakter verlieh, ja geradezu eine Specialität des Landes bildete, waren die sogenannten
Literatenchöre, das heißt Vereine von angesehenen Bürgern, die an Sonn- und Feier-
tagen, sowie bei anderen statutenmäßig bestimmten Gelegenheiten den Kirchengesang in
kunstgemäßer, würdiger Weise zu versehen hatten. Die ersten Spuren solcher Geuosseu-
schafteu mögen bis auf das zunftmäßigen Organisationen besonders günstige XIV. Jahr-
hundert zurückleiten: soviel ist sicher, daß die Ausbreitung und Popnlarisirung der
Literateuvereiue auf Rechnung der religiösen Bewegung seit den Husiteukriegen zu setzen
ist und daß ihre Blüte vorzüglich in das XVI. Jahrhundert fällt.
Der Confession nach gab es katholische, utraquiftische, später auch protestantische
Literatenchöre, der Sprache nach lateinische, böhmische und gemischte. Ursprünglich,
namentlich wo der lateinische Gesang gepflegt wurde, war eine höhere Schulbildung oder
mindesteus eine hervorragende Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft Bedingung der
Aufnahme, daher der Name: Literat , eivis literatus. Die von eigenen Cantoren geleiteten
künstlerischen Leistungen bestanden vor Allem im einstimmigeu Gesaug, dauebeu pflegte»
aber viele Literatenvereine auch die polyphone Vocalmusik, das heißt sie saugeu ihre
Kirchenlieder iu vier- oder füufstimmiger, mituuter auch dreistimmiger Bearbeitung uud
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch