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IX. und X. Jahrhunderts zu einer bleibenden politischen Einheit verschmolzen sind,
während sie sich zuvor nach Benennung und auch dialectisch von einander unterschieden.
Unter diesen Stämmen und Dialeeten erlangte allmälig jener die Oberhand, der auch durch
das Anwachsen der politischen Macht gefördert wurde: der böhmische (cechische) Stamm
und Dialect, der im mittleren Böhmen verbreitet war. Dieses Übergewicht äußerte
sich in der Anerkennung des böhmischen Dialects als Verkehrssprache in bestimmten Fällen,
namentlich bei Personen, die mit dem fürstlichen Hofe in Berührung kamen, und durch ihre
Vermittlung auch bei angesehenen Persönlichkeiten in anderen Gebieten des Landes. Aber
die Macht des böhmischen Dialects war nicht so groß, daß er alle Eigenthümlichkeiten der
anderen Dialecte hätte verdrängen können; wie er selbst seinen Einfluß verbreitete, so erfuhr
er durch die umgekehrte Beeinflussung so manche Veränderung, bis er bei jenem Stand-
punkte der Schriftsprache anlangte, der sich der früheren Verkehrssprache gegenüber durch
einen mehr konservativen Zug auszeichnet, so daß er neben dem gemeinen Böhmisch und
neben den übrigen Dialeeten in seiner Entwicklung eine künstliche Bahn eingeschlagen hat.
Es sind jedoch viele Jahrhunderte vergangen, bevor es zu irgend welchen, wenn
auch noch so bescheidenen Aufzeichnungen in der böhmischen Sprache kam. Der nachdrück-
lichste Schritt dazu ward im IX. Jahrhundert durch die Annahme des Christenthums
gethan, das seine Bekenner mit dem Gebrauche der Schrift vertraut machte und ihueu
dadurch die Bahn des Culturlebens erschloß. Doch war dieses Schriftwesen anfangs nicht
einheitlich, da das Christenthum auf verschiedenen Wegen nach Böhmen kam und daher
vermuthlich infolge der Wirksamkeit der beiden Slavenapostel Cyrill und Methodius hier
sowohl die griechisch-slavische, als auch durch den Einfluß der westlichen Kirche die
lateinische Schrift Eingang fand. Die erstere ist wohl nie aus den engen Grenzen der Liturgie
herausgetreten und schwand selbst auch hier ziemlich schnell, indem sie sich nur künstlich
an einigen Centralpnnkten behauptete — am längsten im Kloster zu Sazava, das im
Jahre 1032 der heilige Prokop für slavische Mönche erbaut hatte —, während die andere
sich immer mehr entfaltete und schließlich überall zur Geltung kam, da sie nicht blos in
den politischen Verhältnissen, sondern auch im Verkehr mit den abendländischen Völkern,
die in der Cultur vorgeschritten waren, eine Stütze fand. In dieser Schrift haben sich
auch die ältesten Proben der böhmischen Sprache erhalten, und zwar theils in Originalen,
theils in späteren Abschriften.
In Originalen vor dem XIII. Jahrhundert kommen nur einzelne Wörter, besonders
als Benennungen der Wässer, Berge, Ortschaften, Gegenden, Stämme und Personen in
alten fremdsprachigen, namentlich lateinischen Denkmälern sowie auch Glossen zwischen
den Zeilen lateinischer Texte vor. Unter allen diesen Überresten nehmen sowohl was
Alterthümlichkeit als auch was Menge und Bedeutung anlangt, die erste Stelle die
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch