Page - 77 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Böhmen (2), Volume 15
Image of the Page - 77 -
Text of the Page - 77 -
77
Von einem regen literarischen Interesse zeugen schließlich anch die alterthümlichen
lexikographischen Denkmäler. Die Erstlingsarbeiten dieser Art erscheinen in Form
von Glossen, wie sie z. B. in Salomons „diäter vei-borum«, etwa aus der Mitte des
XIII. Jahrhunderts, enthalten sind; später werden die Wortvorräthe entweder nach der
Ähnlichkeit der Bedeutung (z. B. Lo t i emai ius ma io r nnd das Preßbnrger Voka-
bularium in Hexametern) oder schließlich auch uach dem Alphabet geordnet.
Die mitt lere Zeit der böhmischen Literatur umfaßt die schriftlichen Denkmäler
vom Jahre 1410 bis zum Jahre 1774. Dieselben sind sehr zahlreich, sprachlich und
inhaltlich durch verwandten, gleichmäßig fortschreitenden Charakter gekennzeichnet. Ihre
Sprache gewinnt einestheils durch Anlehnung an den Volksdialect, anderntheils dnrch
den bildenden Einfluß lateinischer Mnster feste Formen und im Inhalt macht sich
allenthalben der Wiederhall religiösen Eifers bemerkbar. Populäre Schriften in Prosa
tanchen massenhaft ans; die poetische Thätigkeit ist von untergeordneter Bedeutung. Die
Wissenschaften werden größtentheils lateinisch gepflegt.
Religiöse, cultnrelle und politische Änderungen bedingen die Theilung dieser Zeit
in drei Perioden, und zwar: 1. Vom Aufkommen der hnsitischen Lehre bis zum Tode
Georgs von Podebrad (1410 bis 1471). 2. Von der Thronbesteigung Wladislaw des
Jagellonen bis zur Schlacht am Weißen Berge (1471 bis 1620). 3. Von der Schlacht
am Weißen Berge bis zur Regelung des Volksschulweseus unter Maria Theresia (1620
bis 1774).
In der ersten Per iode sehen wir ein Bild ruheloser Verhältnisse, welche die
materiellen nnd geistigen Kräfte des Volkes aufs äußerste zerrütten. Sie sind das Resultat
vieler vorangehender Umstände, die der Zeitgeschichte ein eigenthümliches Gepräge ver-
leihen. Der mächtige Cultnrstrom, der ein halbes Jahrhundert laug von der Prager
Hochschnle ans sich über Böhmen ergoß, die Berührungen mit Vertreter« der Civili-
sation von einem großen Theil Europas, der materielle Wohlstand und das politische
Ansehen äußeru einen günstigen Einflnß nicht mir auf die Entwicklung der Literatur,
sondern auch auf die Hebung des nationalen Bewußtseins und auf thatkräftiges Auftrete«
in Allem, was die wichtigsten Interessen der damaligen Gesellschaft betraf. Im Vorder-
grund dieser Juteresseu stand die Reform in Glaubenssachen und in den Einrichtungen der
Kirche; dafür setzten nicht nur Einzelne entschlossen ihr Leben ein, sondern anch das ganze
Volk stürzte sich mnthig in den Kampf und erregte dnrch Kriegserfolge das Stannen
Europas. Das blutige Ringen lähmte zwar auf lauge hinaus die Fortschritte der Literatur,
hatte aber auch zur Folge, daß das böhmische Element überall das Übergewicht erlangte
und, sobald ruhigere Zeiten eintraten, ziemlich schnell die Verluste wettmachen konnte, die
es in kultureller Beziehung erlitten hatte.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch