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In den damaligen Literaturdenkmälern spiegelt sich der Zeitcharakter dentlich ab.
Anfangs sieht man überall die Fülle religiösen Eifers; dann stellen sich Parteileidenschaften
ein im Gefolge von Kriegsgetümmel und dogmatischen Grübeleien; die körperliche und
geistige Abgespanntheit sucht endlich Erquickung in mystischen asketischen Ansichten.
Die poetische Thätigkeit weist in einigen Richtungen eine Fülle von Prodncten auf,
während sie in anderen entweder völlig brach liegt oder doch nur geringe Lebenskraft
verräth. Der künstlerische Werth ist unbedeutend, denn die Stürme und endlosen Partei-
kämpfe ertödten den Schönheitssinn oder beschränken und lähmen jede freiere Bewegung
nnd Entwicklung. So ist die weltliche Lyrik nur spärlich vertreten, ob wir nun die volks-
thümliche oder die kunstmäßige Richtung ins Auge fassen. Die meisten erhaltenen Reste
gehören noch dem erotischen Kunstliede an, aber es sind größtenteils ältere Prodnete,
nur in späteren Abschriften fixirt. Formell nicht selten geschmackvoll ausgeführt, zeigen
sie oft auch wieder eine nachlässige Form und innere Leere, die durch verkünstelte
Empfindelei schlecht verhüllt ist. Strophische Gliederung ist dabei von früher her über-
nommene Regel; namentlich die dreitheilige Strophe, wegen ihres lebhaften Charakters
in Böhmen seit jeher beliebt, tritt öfters auf, selbst in dem berühmten Kriegsliede der
Taboriten ,Kck<z2 Me koöi dcy'ovniei", das mit Donnerstimme zum Kampfe gegen die
„Feinde der Satzungen Christi" auffordert.
Viel besser entsprachen dem Charakter der Zeit Lieder epischen Inhalts, durch
welche man verschiedene private uud öffentliche Zeitereignisse verbreiten und den Lesern
zurechtlegen konnte. Von dieser Art ist z. B. das ältere Lied »0 S te inberkov i - ,
welches die meuchlerische Tödtuug eines jungen Edelmanns bei einem Besuche iu Meluik
lebendig nnd ergreifend schildert, oder „0 bi tvö preci l )s t im" (Von der Schlacht bei
Aussig), mit Einzelnheiten über die Niederlage des deutschen Heeres im Jahre 1426,
,0 ?a^eti Lixinuncka K o r d u l a - (Vonder Gefangennahme Sigmund Korybuts) im
Jahre 1427, .0 b i tve u V a r n ^ (Von der Schlacht bei Varna) im Jahre 1444 und
viele andere. Manchmal geht das Lied in chronikartige Erzählung über, die nach dem
Vorgange Dalimils gereimt ist, wie z. B. „poeä tkove kus i t s tv i" (Die Anfänge des
Husitismus), oder ,0 vülee s Dirr^ I. 1468—1474" (Von dem Kriege mit Ungarn).
Von eigentlichen Reimchroniken sind nur Bruchstücke erhalten.
Sehr oft enthalten die geschichtlichen Lieder schmähende Anspielungen, da sie wohl
ausnahmslos vou Parteigängern herrühren und daher oft in Sa t i r en übergehen. Die
populäre Form des Liedes blieb auch hier gewahrt, aber der poetische Werth ist gänzlich
gesunken. Von den zahlreichen Prodncten dieser Art sind etwas mehr bekannt , ?da rven i
mniel ivve" (Die gefärbten Mönche), na I lusi t^" (Klagen gegen die
Husiten), (Das Lied von Rokycana) uud andere.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch