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schnitt ihm das Wort ab; 1820 vom Lehramt suspendirt, zog er sich in ein abgeschlossenes
Denkerleben zurück.
Der Anstoß, den die Josephinische Zeit gegeben hatte, und die Anregung, die von
den Lehrstühlen ausging, wirkte auf immer weitere Kreise hinaus. Das Bedürfniß nach
regerer Verbindung mit dem gesammten deutschen Geistesleben, der Drang, sich mitschafsend
zu bethätigen und die Berufenen zu gemeinsamem Wirken zu sammeln, sanden zunächst in
publizistischen Versuchen ihre Befriedigung. Die Tagespresse war um die Wende des
Jahrhunderts freilich noch weit von der Aufgabe entfernt, der sie heute dient. Die
„Prager Oberpostamtszeitung", die sich später in die offizielle „Prager Zeitung"
verwandelte, war ein Blatt voll dürftiger Notizen, und wenn sie des großen Zeitgenossen
Goethe gedachte, so geschah es mit Vorliebe gelegentlich der Nachricht von einem Selbst-
mord, um festzustellen, daß der „Werther" wieder einmal ein Unheil angerichtet habe.
In den Monats- und Wochenschriften aber gelangte der schöngeistige Zug immer stärker
zum Durchbruch. Der lehrhaft angelegte Seibt hatte sich mit der Veröffentlichung
von Stilproben, von Schülerarbeiten begnügt. Meißner, der mitten im literarischen
Leben stand, rief 1793 die erste belletristische Zeitschrift, den „Apollo", ins Leben, für
den er in der Nähe und in der Ferne geschickte Mitarbeiter warb. Der feingeistige
Meiner t — ein Schüler Meißners, später für kurze Zeit seiu Nachfolger auf der
Lehrkanzel — trat hier an die Öffentlichkeit. Dambeck gründete 1819 die Wochenschrift
„Hyllos", in deren ersten Nummern er und Coruova im Klopstock'scheu Odeustile wett-
eiferte«, uud die mit der Zeit durch die Pflege der Landeskunde einen positiven Inhalt
gewann. Die hochgebildete Schriftstellerin Karoline von Woltmann, die ihre glücklichsten
Jahre in Prag verlebte und für Böhmens Landschaften und Sagen schwärmte, snchte
um 1823 in der Zeitschrift „Der Kranz, oder Erholungen für Geist und Herz" einen
Kreis vou schönen Seelen um sich zu versammeln. Ihr gesellte sich Gerle als Mit-
redacteur hinzu, und 1828 brachte Schießler seine „Monatsrosen" auf den literarischen
Markt. Gerle und Schießler galten in dieser schwächlichen Zeit, in den Zwanziger- und
Dreißiger-Jahren, für die literarischen Machthaber von Prag. Sie waren Vertreter der
Modeschriftstellern. Beide versuchten sich in jeder Dichtungsart, zumeist in Theaterstücken,
in denen sie über den Geschmack der Kotzebne und Jfflaud nicht hinauskamen. Gerles
Hanptverdienst war sein romantisches Bemühen um die Wiedererweckung der böhmischen
Sagen, iil der Karoline von Woltmann ihm rühmlich vorangegangen war. Sein Tod ist
literarisch denkwürdiger als sein Leben, tragischer als irgend eine Scene seiner Dichtung.
Als er um die Mitte der Vierziger-Jahre seinen Einfluß gebrochen, seine Schriften
vernachlässigt und seine Richtung überwunden sah, gab er sich in den Wellen der Moldan
den Tod . . . .
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch