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Die Theater j)rags.
Wenige Städte Österreich-Ungarns dürfen auf eine so reiche, eigenartige und
wechselvolle Entwicklung ihres Theaterwesens zurückblicken als die Mozartstadt Prag,
die vielhundertjährige Stätte begeisterter nud verständnißvoller Kunstpflege. Mit der
Entwicklungsgeschichte der deutschen Schauspielkunst und der deutschen Musik innig ver-
woben, in dieser Geschichte oft mit einer vornehmen, ja leitenden Rolle bedacht, hat das
„Prager Theater" vermöge der eigenthümlichen nationalen Verhältnisse in der Landes-
hauptstadt Böhmens allmälig eine besondere Gestaltung angenommen, welche seinen
Geschichtsschreiber zur Beobachtung eines doppelten Standpunktes nöthigt. Er hat den
rein literarischen, den rein künstlerischen Standpunkt mit dem nationalen zn vereinbaren.
Und diese Vereinbarung ist nicht allzuschwierig: der nationale Friede war auf keinem
Gebiete in Böhmen länger aufrechtzuerhalten als auf dem künstlerischen, und noch heute
herrscht trotz der räumlichen und materiellen Trennung der nationalen Kunstinstitute eine
gewisse friedliche Verständigung zwischen ihnen vor, welche sogar ein erhebendes
Zusammenwirken zu wahren künstlerischen Zielen gestattet. Auch für die historische
Betrachtung ist Jahrhunderte lang in der Entwicklung des Theaterwesens eine nationale
Trennung überhaupt nicht zu entdecken, — wir haben nur gemeinsame Schicksale und
Erfolge zu verzeichnen.
Die ersten Anfänge des Theaterwesens in Prag sind wie überall in den Mysterien
und Mora l i t ä ten , den geistlichen Spielen mit heiteren Quacksalber-Intermezzi, zu
erblicken. Das böhmische Museum bewahrt den handschriftlichen Text einer solchen Quack-
salber-Scene (masliekät) in böhmischer Sprache, welche eine natürliche Ähnlichkeit
mit deutschen Spielen dieses Charakters hat. Der Quacksalber war mit der Passions-
geschichte Christi gewaltsam und kunstvoll dadurch verquickt worden, daß man ihm den
Salbenverkanf an die frommen Franen übertrug und damit die Gelegenheit zur Production
seiner derben Späße gab — er war der Hanswurst des frommen Spiels.
Die Schnlcomödie bedeutete wie anderswo auch in Prag die zweite Stufe der
Entwicklung des Theaterweseus; sie entfaltete einen besonderen Glanz in dem mächtigen
Heim, das sich die Gesellschaft Jesu in dem Eollegium Clementinnm erbaut hatte.
Allegorische Spiele mit frommer Tendenz nnd prunkvoller Ausstattung versammelten iin
Hofe dieser kleinen Klosterstadt mitunter 10.000 Menschen, und diese Bewunderer
mehrten den Nuhm uud die Popularität des Ordeus, der im Laude Böhmen auch eine
große politische Mission zu erfüllen hatte. Am 12. October 1567 gaben die Jesuiten und
Jesuitenschüler, welche bis dahiu zumeist iu lateinischer Sprache von der Bühne herab
zum Volke gesprochen hatten, ein vom Magister Nikolaus Salius in slavischen Versen
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Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Böhmen (2), Volume 15
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Böhmen (2)
- Volume
- 15
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.07 x 22.35 cm
- Pages
- 708
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch