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Die charakteristischesten Funde aus dem Neusiedlersee sind: zwei geschliffene und
durchbohrte Steinäxte, einige geschliffene Beile, Schleifsteine, Messer, Feuersteinsplitter,
ein bearbeitetes Hirschgeweih, endlich Bruchstücke verschiedener mit freier Hand geformter,
mit Eindrücken des Fingernagels oder der Beinnadel und mit Kerbungen verzierter
Thongefäße. Zweifellos bezeichnen diese Gegenstände die Cultur der jüngeren Steinzeit.
Daß ihre Versertiger auf Pfahlbauten, die über das Niveau des Sees emporragten,
gewohnt hätten, ist nicht bewiesen. So lange keine Pfahlreste gefunden sind, scheint die
Annahme empsehleuswerther, daß diese Ansiedluug auf dem damals trockenen Boden des
Sees gestanden habe.
Im Tolnaer Comitat hat die Gegend der Dörfer Kölesd, Puszta-Borjäd, Medina
und Raezegres zahlreiche Funde aus der jüngeren Steinzeit, namentlich Thongefäße
geliefert. Alle aber werden an wissenschaftlichem Interesse übertroffen durch den in seiner
Art einzigen Lengyeler Fund, der in der Nähe des Dorfes Lengyel längs des Kapos-
flusses auf einer etwa 15 Joch großen, aus einer Lößschichte bestehenden und mit einem
Erdwall umzogeueu Anhöhe gemacht wurde. Es ist dies eine jener wenigen urzeitlichen
Niederlassungen Ungarns, die durch systematische Nachgrabung erforscht sind. So geben
denn die Örtlichkeit, die vorgefundenen 150 Skelette und etwa KI.OOO Stück primitive
Artefacte ein deutliches Bild jenes Volkes, seiner Lebensweise und seiner Handfertigkeit.
Die Schädel sind von beträchtlicher Größe und einer Form, wie sie selbst nnter den
arischen Völkern selten so schön vorkommt; sie berichten von einer geistig besonders
entwicklungsfähigen Race. Es scheint, daß das Zusammenleben auch schon irgend eine
gesellschaftliche Organisation als Grundlage hatte; die Bearbeitung der Stoffe stand jedoch
noch auf niedriger Stufe. Die Handfertigkeit reichte hinsichtlich des Zusammenfügen»
der Stoffe nur so weit, daß mit Lehm verstrichene Ruthengeflechte verfertigt und
daß im Bohrloch der Steinaxt ein Stiel befestigt wurde. Von etwas Gebautem ist daher
keine Spur vorhanden. Als Wohnuugeu dienten in den Löß gehöhlte bienenkorbförmige
Löcher, 3 bis 4 Meter hoch, am Grunde 2 bis 3 Meter breit und an der Spitze mit einer
runden Eingangsöffnung versehen. In besonderer Gruppe befinden sich gleichfalls im Löß
ausgehöhlte, allein weniger tiefe Feuerstelleu, dereu Boden mit einer Aschenschicht, mit
Küchenabfällen, Thierknochen und Gefäßfcherben bedeckt ist. Die Getreidespeicher waren
gleichfalls bienenkorbförmige, 3 Meter tiefe, jedoch engere und mit lehmbeworfenem
Weidengeflecht gefütterte Höhlungen, aus denen große Thongefäße mit verkohltem Getreide
ans Licht gefördert wurden. Die Todten waren mit dem Gesicht gegen Osten, in kauernder
Stellung auf die rechte Seite gelegt, begraben. Die in den Wohnungen und Gräber»
gefundenen künstlichen Gegenstände sind: aus Feuerstein, Obsidian und Jaspis gespaltene
Messer, Schaber, Pfeilspitzen, dnrch Absplitterung zugespitzt Bohrer, Äxte, Meißel,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (4), Volume 16
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (4)
- Volume
- 16
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.18 x 21.71 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch