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die fahrenden und erobernden Völker mächtig anzog, die Kelten, Römer, Gothen, Vandalen
und Langobarden, die Avaren, Franken, Magyaren und Türken. Jedes kam mitten ins
Fertige hinein, und es that ihm leid oder es vermochte nicht, was es hier fand, durchaus
zu zerstören. Selbst die Türken bauten darin, und wo sie den Fuß hinsetzten, da verdorrte
das Gras nicht unter ihrem Tritt.
Auf den Gipfeln stehen die Ruinen von Klöstern und Bnrgen; von den Häuptern
der Gebirge herab fließt in dichten Locken, dem Hanptfchmnck des Ritters gleich, hoch-
stämmiger Wald; in ihrem Schooße ruht üppig geschichtet das Feuer der Steinkohle, ihre
Brüste quellen von Wein, zu ihren Füßen sprudelt Quell um Quell auf; kaum geboren,
enteilt die Quelle muthwillig ihrer schattigen Wiege und findet alsbald Geschwister,
Spielgenossen; mit diesen vereint, verbündet, in Umarmung und Streit rauscht sie weiter;
zwischen den ineinander geschmiegten Hügeln fließt in seidenweichen Thälern Bach auf
Bach der Drau, der Donau zu. Auf den Marmorfelsen sitzen Sagen, in den Gewässern
baden Feen, in den Wäldern springt schlankes Wild (und bergen sich finster blickende
Wildschützen), auf den reichen Gefilden mäht der Schnitter singend die zwanzigfach
gesegnete Ähre. In den Dörfern ist Friede und Feiertag, in den Städten Leben, Kraft
nnd reger Verkehr. Von der Bergkuppe herab oder aus der Vogelperspektive gesehen, rnht
das Land in strahlendem Sonnenschein. Hie und da schweben zerrissene Wolken aus der
Vergangenheit, hellere und dunklere, aber sämmtlich blutroth gerändert, über Fünfkirchen,
Szigethvär, Siklös, Mohacs und weiter hinab über Efseg; der Wind weht sie hinunter bis
gegen Belgrad und hinauf bis gegen Ofen, hier aber schweben sie alle durch, begegnen
sich, prallen zusammen oder setzen sich träge fest. Die Werke der Urnatnr und der
Civilisation, Arbeit und Festfeier, ein sonnig in die Zukunft hineinblühendes Leben und
die Wolkenflocken aus der Vergangenheit vereinigen sich auf diesem Teppich in wunder-
samem Einklang.
Bleiben wir auf den Gipfeln, bei der Natur und steigen wir dann hinab ins Thal,
in die Ebene, in die Gegenwart, und weuu wir müde fiud, setzen wir uns wieder zur Ruhe
auf jene gebräunte» Steine, deren Name Vergangenheit ist.
Dieses Gebiet von 5.170 Kilometer Flächeninhalt nährt etwa 320.000 Einwohner,
deren treue Arbeit, ja oft selbst die treulose, es daukbar lohnt. Es ist von drei Bergketten
umgürtet, die sämmtlich von Ost zu West ziehen; hügelige Ebenen lagern dazwischen. Das
ist der Meesek, das Siklös-Vi l länyer und das Baranyaväre r Gebirge. Alle drei
haben eine gewisse Ähnlichkeit, wie Kinder einer Mutter. Vom westlichen Ende hebt jedes
mit niedrigen Lehmhügeln an, erhöht sich stufenweise in seinem Lauf gegen Osten und
endet mit einer schön geformten, die ganze Kette beherrschenden Kuppe, die durch eine
Ruine gekrönt wird. Jedes blickt mit seiner südlichen Stirne auf eine weite, fruchtbare
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (4), Volume 16
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Ungarn (4)
- Volume
- 16
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1896
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.18 x 21.71 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch